Mal wieder Netzsperren via EU?

Manche Themen leben lange. Netzsperren/Internet-Sperren gehören dazu. Nun gibt es wieder einen Versuch, wie u.a. netzpolitik.org berichtet: dieses mal versucht die EU-Abgeordnete Monika Hohlmeier von der CSU einen entsprechenden Passus in einem Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Ich habe ihr daher mal eine freundliche E-Mail geschrieben, und auf die Problematik dieses Vorhabens verwiesen – denn man weiß ja nie, vielleicht sind ihr manche Details einfach noch nicht so sehr bewusst ...

Sehr geehrte Frau Hohlmeier,
liebe Mitarbeiter,

mein Name ist Alvar Freude, ich war 2010 bis 2013 Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages und habe zusammen mit Peter Tauber die Handlungsempfehlungen zum Thema Netzsperren verfasst. Diese gehört zu den wenigen Handlungsempfehlungen im Bericht zu Netzneutralität, die von der gesamten Enquete-Kommission einstimmig verabschiedet wurden. Jegliche Art von Netzsperren wird in dieser Handlungsempfehlung abgelehnt – und die jährlichen Berichte des Bundeskriminalamts stützen die damalige Position und zeigen, dass „Löschen statt Sperren“ sehr gut funktioniert.


Mit sehr großem Erstaunen habe ich gelesen, dass Sie im Innenausschuss des EU-Parlaments nun eine Position vorantreiben, die Netzsperren explizit fordert und so dafür sorgt, dass die EU-Länder eine Zensur-Infrastruktur aufbauen müssen. Wie kommen Sie zu dem Schluss, dass Netzsperren nötig sind, um gegen illegale Inhalte im Internet vorzugehen? Aus welchen Ländern werden die rechtswidrigen Inhalte verbreitet (Server-Standort)? Warum können diese nicht gelöscht werden?

In der deutschen Netzsperren-Diskussion 2008 bis 2010 wurde oft behauptet, dass illegale Inhalte oft über so genannte Failed States verbreitet werden, in denen eine Löschung nicht möglich sei. Diese Behauptung hat sich allerdings als gänzlich falsch herausgestellt, wie ich in verschiedenen Analysen beweisen konnte. In der Zwischenzeit zeigen dies auch die offiziellen Zahlen des BKA.

Auch im Bereich des islamistischen Terrorismus ist anzunehmen (und erste Erkenntnisse bestätigen dies), dass einschlägige Inhalte ausschließlich über europäische (vor allem deutsche) und nordamerikanische Anbieter verbreitet werden. Löschen dieser Inhalte – wir reden ja nur über eindeutig rechtswidrige Inhalte – ist möglich und geschieht in der Regel sehr schnell. Dies ist auch der einzige nachhaltige Weg, diese Propaganda einzudämmen.

Ich möchte Sie daher bitten, diesen Gedanken in den Gesetzgebungsprozess mit einzubeziehen und auf Netzsperren, die einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unwürdig sind, zu verzichten.

Anbei schicke ich Ihnen noch den erwähnten Bericht zur Netzneutralität der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, die entsprechende Passage finden Sie auf Seite 34 unter „Schlussabsatz“. Die relevanten Teile daraus zitiere ich am Ende diese E-Mail.


Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne per E-Mail oder telefonisch unter (01 79) 13 46 47 1 zur Verfügung.


Freundliche Grüße
Alvar Freude

Ausschnitt aus den Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Netzneutralität der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des deutschen Bundestages:


Die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft hält Netzsperren und das Blockieren von Inhalten für ein ungeeignetes Instrument zur Bekämpfung illegaler Inhalte und Kriminalität im Netz. Es ist zudem fragwürdig, ob entsprechende Maßnahmen mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Werten des Netzes selbst in Einklang stehen, wenn unklar ist, auf welcher Grundlage dieser Eingriff staatlicherseits erfolgt. Das Sperren und Blockieren von Inhalten durch Unternehmen ohne rechtsstaatliche Grundlage ist nach Auffassung der Enquete-Kommission eine Verletzung der Netzneutralität und wird abgelehnt. [...]

Das Sperren und Blockieren von Inhalten auf gesetzliche Anordnung hat sich in der Praxis als ein wenig geeignetes Mittel erwiesen, um Kriminalität jeglicher Art im Netz zu bekämpfen. Alternativ kann das Löschen krimineller In- halte eine Möglichkeit zur Durchsetzung von Recht und Gesetz sein. [...]


Der Bericht ist auch online verfügbar, unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/085/1708536.pdf