Vorratsdatenspeicherung führt zum Holocaust?

padeluun-pullt-den-godwin.pngZum Ende des Holocaust-Gedenktages hat es padeluun dann doch noch geschafft Godwin's Law zu erfüllen, indem er einen Nazi-Vergleich bemühte: Man solle doch auch bedenken, dass die Opfer des Holocausts durch so etwas wie die Vorratsdatenspeicherung erst zu Opfern wurden (hier der Original-Tweet). 

Dieser Vergleich ist unwürdig, beschämend, den Holocaust verharmlosend. Dabei geht es bei dieser Rhetorik primär um eines: um das Unterdrücken anderer Meinungen.

Der Tweet von padeluun war kein Versehen, er hat ihn anschließend auch noch verteidigt. Es gäbe jetzt vieles dazu zu schreiben, warum dieser Vergleich daneben ist, so kann man der Vorratsdatenspeicherung – die ich bekanntermaßen auch weitgehend ablehne – alles mögliche nachsagen. Aber nicht, dass sie die Menschen nach Ethnie, „Rasse“ oder Religion markiert geschweige denn zum Massenmord führt.

Bei diesem Vergleich geht es aber nicht darum, reale Gefahren eines Gesetzes aufzuzeigen. Es geht um Meinungsführerschaft, Meinungshoheit und das Niedermähen anderer Ansichten per Holocaust-Vergleich. Die Vorratsdatenspeicherung soll in ein solches Licht gerückt werden, dass gar nicht mehr darüber diskutiert werden kann. Sie ist nicht nur böse, sie ist des Teufels. Wer etwas anderes sagt wird geächtet. Das Wesen einer Demokratie ist aber die Diskussion. Ich diskutiere gerne darüber, warum ich eine Handy-Standortdaten-Speicherung ablehne. Oder die Speicherung, wer wann mit wem telefoniert hat. Oder welche Gefahr für eine freiheitliche Gesellschaft von amok-laufenden Geheimdiensten à la NSA und GCHQ ausgeht. Ich diskutiere aber auch gerne darüber, warum bei der Speicherung von IP-Adressen nicht das Risiko besteht, dass die sexuellen Vorlieben von 80 Millionen Bundesbürgern ausgespäht werden. Mit Totschlagargumenten sollen aber solche Diskussionen gleich unterbunden werden. Ähnliches kennen wir aus vielen Bereichen, nicht nur bei politischen Diskussionen.

Noch ausgeprägter ist die Unterdrückung anderer Meinungen anstatt das Zulassen von Diskussionen darüber bei Fefe, Felix von Leitner, Hobby-Verschwörungstheoretiker mit einer großen Schaar an Anhängern. Bei ihm gehört zum festen Repertoire auch das persönliche Verunglimpfen von Menschen – was padeluun, den ich übrigens in vielen Punkten sehr schätze und in anderen kritisiere, üblicherweise nicht macht. Auch padeluun war schon Opfer von Fefe. 

Die Methode von Fefe ist, Menschen mit anderen Meinungen „zur Vernunft zu beschämen“, also so zu beschimpfen, bis sie aus Angst die Klappe halten. Ist ihm bei mir nicht gelungen, aber ich durfte einen großen Preis dafür zahlen: dauerhafte Beschimpfung als Verräter und schlimmeres und persönliche Beleidigungen in der Netz-Szene. Was war mein Vergehen? Ich habe gesagt, dass Quick-Freeze unsinn ist, dass IP-Adressen nicht des Teufels sind und dass man bei der Vorratsdatenspeicherung doch bitte die Eingriffsintensität unterschiedlicher Datenarten (IP-Adressen, Handy-Standortdaten, Telefon- und E-Mail-Verbindungsdaten) unterschiedlich betrachten soll. Sachen, die ich in der einen oder anderen Form schon Jahrelang gesagt habe, insbesondere zu IP-Adressen.

Aber irgendwann hat mal jemand definiert, dass die Speicherung von IP-Adressen einer Totalüberwachung des Internets gleich kommt. Viele, die sich nicht so tief mit der Materie beschäftigen, glauben es – und andere sagen nichts, weil sie nicht als Verräter da stehen wollen. Dazu muss man noch mal sagen: ich vertrete in einem kleinen Punkt eine andere Meinung, ich gehe in einem kleinen Punkt auf die andere Seite zu. Das könnte man auch als Vielfalt akzeptieren. Und genau da hat Fefe ein Exempel statutiert (das natürlich dann besonders gut klappt, wenn der andere wie ich manchmal auch mal ein wenig herumpoltert …). Dabei geht es nicht um eine inhaltliche Diskussion, sondern alleine darum, alles andere zu unterdrücken. Dass man dadurch auch potentiell Menschen zerstört, das ist egal.

Die Folge: Kaum einer derjenigen, die sich in etwas sachlicherer Weise mit dem betreffenden Thema beschäftigen, will dazu etwas sagen, aus Angst vor der hereinrollenden Dampfwalze. Das sieht man auch an meinem Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung: für ein privates „OK, wahrscheinlich hast Du Recht“ oder „ist alles sauber und schlüssig“ reicht es. Aber öffentlich etwas dazu schreiben? Lieber nicht. Man hat ja einen Ruf zu verlieren, man sieht ja was passiert. Daher bleibt es öffentlich bei „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung“, die einschränkenden Details behält man lieber für sich. Lieber ein bisschen im Ungefähren bleiben.

Dazu passt: Es gibt wohl keinen halbwegs bekannten deutschen Blogger, der keine IP-Adressen seiner Kommentarautoren speichert, ob aus der Netzpolitik-Szene oder nicht. Trotzdem meckern die meisten offiziell über IP-Adress-Speicherungen. Hinter vorgehaltener Hand sagen sie aber auch: eine passende Differenzierung wäre (nicht nur bei der Vorratsdatenspeicherung) schon OK. Aber öffentlich dazu zu stehen oder gar offensiv dafür einzustehen, das traut sich kaum einer. Aus Angst vor dem Shitstorm.

Genau das ist es, was padeluun mit seinem Holocaust-Bezug erreichen will. Genau das ist es, was Fefe erreichen will, wenn er mich „beschämt“, wenn ich es wage laut meine Meinung zu sagen: solch abweichende Meinungen sollen geächtet werden. Ziel ist die Vernichtung anderer Meinungen, zumindest im eigenen Umfeld. Wer eine andere Meinung hat als die, die als absolut richtig definiert wurde – wenn auch nur in kleinen Teilen – ist keiner mit dem man diskutiert und sich inhaltlich auseinandersetzt, nein: so jemand ist ein Verräter, der in der Hölle des Shitstorms schmoren soll. Dabei ist, wenn wir mal zum Thema Datenschutz zurückkehren, selbst manch couragierter Verein ein kräftiger Datensammler.

Das ganze führt dazu, dass wir uns bei der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung im Kreis drehen und oft keine vernünftige Diskussion möglich ist. Beide Seiten betreiben Politik über das Schüren von Ängsten, gegenseitiger Vorwürfe und kommen nicht runter, wie ich in anderem Kontext schon 2007 schrieb. Dabei wäre, und davon bin ich fest überzeugt, ein Kompromiss denkbar, mit dem beide Seiten ganz gut leben könnten. Das setzt aber eins voraus: dass man miteinander redet und andere Meinungen akzeptiert. Man muss sie ja nicht teilen.

PS: Und wer weiterhin denkt, ich sei ein Verräter, der lese einfach mein Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung, und dann reden wir weiter. OK?