Zum Ende des Holocaust-Gedenktages hat es padeluun dann doch noch geschafft Godwin's Law zu erfüllen, indem er einen Nazi-Vergleich bemühte: Man solle doch auch bedenken, dass die Opfer des Holocausts durch so etwas wie die Vorratsdatenspeicherung erst zu Opfern wurden (hier der Original-Tweet).
Dieser Vergleich ist unwürdig, beschämend, den Holocaust verharmlosend. Dabei geht es bei dieser Rhetorik primär um eines: um das Unterdrücken anderer Meinungen.
Der Tweet von padeluun war kein Versehen, er hat ihn anschließend auch noch verteidigt. Es gäbe jetzt vieles dazu zu schreiben, warum dieser Vergleich daneben ist, so kann man der Vorratsdatenspeicherung – die ich bekanntermaßen auch weitgehend ablehne – alles mögliche nachsagen. Aber nicht, dass sie die Menschen nach Ethnie, „Rasse“ oder Religion markiert geschweige denn zum Massenmord führt.
Bei diesem Vergleich geht es aber nicht darum, reale Gefahren eines Gesetzes aufzuzeigen. Es geht um Meinungsführerschaft, Meinungshoheit und das Niedermähen anderer Ansichten per Holocaust-Vergleich. Die Vorratsdatenspeicherung soll in ein solches Licht gerückt werden, dass gar nicht mehr darüber diskutiert werden kann. Sie ist nicht nur böse, sie ist des Teufels. Wer etwas anderes sagt wird geächtet. Das Wesen einer Demokratie ist aber die Diskussion. Ich diskutiere gerne darüber, warum ich eine Handy-Standortdaten-Speicherung ablehne. Oder die Speicherung, wer wann mit wem telefoniert hat. Oder welche Gefahr für eine freiheitliche Gesellschaft von amok-laufenden Geheimdiensten à la NSA und GCHQ ausgeht. Ich diskutiere aber auch gerne darüber, warum bei der Speicherung von IP-Adressen nicht das Risiko besteht, dass die sexuellen Vorlieben von 80 Millionen Bundesbürgern ausgespäht werden. Mit Totschlagargumenten sollen aber solche Diskussionen gleich unterbunden werden. Ähnliches kennen wir aus vielen Bereichen, nicht nur bei politischen Diskussionen.
Noch ausgeprägter ist die Unterdrückung anderer Meinungen anstatt das Zulassen von Diskussionen darüber bei Fefe, Felix von Leitner, Hobby-Verschwörungstheoretiker mit einer großen Schaar an Anhängern. Bei ihm gehört zum festen Repertoire auch das persönliche Verunglimpfen von Menschen – was padeluun, den ich übrigens in vielen Punkten sehr schätze und in anderen kritisiere, üblicherweise nicht macht. Auch padeluun war schon Opfer von Fefe.
Die Methode von Fefe ist, Menschen mit anderen Meinungen „zur Vernunft zu beschämen“, also so zu beschimpfen, bis sie aus Angst die Klappe halten. Ist ihm bei mir nicht gelungen, aber ich durfte einen großen Preis dafür zahlen: dauerhafte Beschimpfung als Verräter und schlimmeres und persönliche Beleidigungen in der Netz-Szene. Was war mein Vergehen? Ich habe gesagt, dass Quick-Freeze unsinn ist, dass IP-Adressen nicht des Teufels sind und dass man bei der Vorratsdatenspeicherung doch bitte die Eingriffsintensität unterschiedlicher Datenarten (IP-Adressen, Handy-Standortdaten, Telefon- und E-Mail-Verbindungsdaten) unterschiedlich betrachten soll. Sachen, die ich in der einen oder anderen Form schon Jahrelang gesagt habe, insbesondere zu IP-Adressen.
Aber irgendwann hat mal jemand definiert, dass die Speicherung von IP-Adressen einer Totalüberwachung des Internets gleich kommt. Viele, die sich nicht so tief mit der Materie beschäftigen, glauben es – und andere sagen nichts, weil sie nicht als Verräter da stehen wollen. Dazu muss man noch mal sagen: ich vertrete in einem kleinen Punkt eine andere Meinung, ich gehe in einem kleinen Punkt auf die andere Seite zu. Das könnte man auch als Vielfalt akzeptieren. Und genau da hat Fefe ein Exempel statutiert (das natürlich dann besonders gut klappt, wenn der andere wie ich manchmal auch mal ein wenig herumpoltert …). Dabei geht es nicht um eine inhaltliche Diskussion, sondern alleine darum, alles andere zu unterdrücken. Dass man dadurch auch potentiell Menschen zerstört, das ist egal.
Die Folge: Kaum einer derjenigen, die sich in etwas sachlicherer Weise mit dem betreffenden Thema beschäftigen, will dazu etwas sagen, aus Angst vor der hereinrollenden Dampfwalze. Das sieht man auch an meinem Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung: für ein privates „OK, wahrscheinlich hast Du Recht“ oder „ist alles sauber und schlüssig“ reicht es. Aber öffentlich etwas dazu schreiben? Lieber nicht. Man hat ja einen Ruf zu verlieren, man sieht ja was passiert. Daher bleibt es öffentlich bei „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung“, die einschränkenden Details behält man lieber für sich. Lieber ein bisschen im Ungefähren bleiben.
Dazu passt: Es gibt wohl keinen halbwegs bekannten deutschen Blogger, der keine IP-Adressen seiner Kommentarautoren speichert, ob aus der Netzpolitik-Szene oder nicht. Trotzdem meckern die meisten offiziell über IP-Adress-Speicherungen. Hinter vorgehaltener Hand sagen sie aber auch: eine passende Differenzierung wäre (nicht nur bei der Vorratsdatenspeicherung) schon OK. Aber öffentlich dazu zu stehen oder gar offensiv dafür einzustehen, das traut sich kaum einer. Aus Angst vor dem Shitstorm.
Genau das ist es, was padeluun mit seinem Holocaust-Bezug erreichen will. Genau das ist es, was Fefe erreichen will, wenn er mich „beschämt“, wenn ich es wage laut meine Meinung zu sagen: solch abweichende Meinungen sollen geächtet werden. Ziel ist die Vernichtung anderer Meinungen, zumindest im eigenen Umfeld. Wer eine andere Meinung hat als die, die als absolut richtig definiert wurde – wenn auch nur in kleinen Teilen – ist keiner mit dem man diskutiert und sich inhaltlich auseinandersetzt, nein: so jemand ist ein Verräter, der in der Hölle des Shitstorms schmoren soll. Dabei ist, wenn wir mal zum Thema Datenschutz zurückkehren, selbst manch couragierter Verein ein kräftiger Datensammler.
Das ganze führt dazu, dass wir uns bei der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung im Kreis drehen und oft keine vernünftige Diskussion möglich ist. Beide Seiten betreiben Politik über das Schüren von Ängsten, gegenseitiger Vorwürfe und kommen nicht runter, wie ich in anderem Kontext schon 2007 schrieb. Dabei wäre, und davon bin ich fest überzeugt, ein Kompromiss denkbar, mit dem beide Seiten ganz gut leben könnten. Das setzt aber eins voraus: dass man miteinander redet und andere Meinungen akzeptiert. Man muss sie ja nicht teilen.
PS: Und wer weiterhin denkt, ich sei ein Verräter, der lese einfach mein Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung, und dann reden wir weiter. OK?
Ein Mensch
Du darfst deine Meinung haben, aber als Verbündeter taugst du mir so nicht mehr. Faule Kompromisse mag ich nicht. Ortsdatenauswerten, z.B. wer war regelmässig in der Moschee, kann zur Filterung nach Religion verwendet werden. IP speichern bleibt böse(TM) und darüberhinaus unnötig. So isses halt.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Ein Mensch geantwortet
Nun, ich habe doch darum gebeten, bitte erst das Gutachten zu lesen, bevor man mir irgendwas unterstellt. Es wäre für eine sinnvolle Diskussion hilfreich, wenn auch Du Dich daran halten würdest.
Bartträger
Ergänzend: Alvar schreibt in dem Gutachten, dass man mit Hilfe der Speicherung von IP-Adressen nicht auf die Religion schließen könne. Und das hat er in meinen Augen durchaus schlüssig begründet.
Asdf
Du bist kein Verräter, tust in der Sache Gutes, und hast in vielen deiner Beispiele recht. Aber hier zeigst du nazophobie, die Angst sich mit Nazi Vergleichen Unbeliebt zu machen. Padeluun hat nämlich recht. Hätten die Nazis die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung gehabt, wäre die Judenverfolgung eine einfache SQL-Anfrage gewesen. Das muss einmal erwähnt werden, denn der nächste große Diktator hat alle die Möglichkeiten, die heute noch mit guten Absichten eingeführt werden. Er muss sich nicht durch das Einführen von Totalüberwachung unbeliebt machen, riskieren deswegen gestürzt zu werden... Er nutzt dann einfach die vorhandene Infrastruktur, ohne dass es jemand merkt, bevor es zu spät ist.
In dem Sinne: Es muss mehr Leute geben, die sich trauen dies auszusprechen!
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Asdf geantwortet
Nein, und hier liegt einer der häufigen Trugschlüsse. Egal was man zur Vorratsdatenspeicherung denkt, egal wie man die Eingriffstiefe der Speicherung der einzelnen Datenarten bewertet: In keinem Fall wäre „die Judenverfolgung eine einfache SQL-Abfrage“. Diese Behauptung suggeriert, dass man mit einer einzigen Datenbank-Abfrage herausfinden kann: der ist Jude, der ist kein Jude. Genau das ist bei „der Vorratsdatenspeicherung“ – also bei dem ehemaligen, vom BVerfG gekippten Gesetz und bei der EU-Richtlinie 2006/24/EG – nicht möglich. Aus verschiedenen Gründen:
Es gibt bei der (vollen Umsetzung) der Vorratsdatenspeicherung beispielsweise die Möglichkeit zu erfragen: wer hat alles Rabbi Müller angerufen. Problematisch genug, aber keinerlei Indiz dafür, ob derjenige jüdischen Glaubens ist oder nicht. Es könnte ja auch ein Nazi sein, der ihn beschimpft hat.
Natürlich lässt sich über die Aggregation von Kommunikations-Metadaten (wer hat wann von wo aus mit dem telefoniert und anderes) vieles herauslesen. Auch lassen sich Gruppen von Personen bilden und so weiter. Eine einfache Abfrage „der ist Jude“ wäre aber nicht möglich.
Das alles wie gesagt unabhängig davon, ob ich das toll finde (finde ich nicht) oder nicht.
Sven Türpe hat auf den Kommentar von Asdf geantwortet
Du bist dem Nazivergleich auf den Leim gegangen -- er ist aber inhaltlich falsch, da er sich auf falsche Annahmen stützt. Genauer, auf ein zu enges und deshalb weder historisch korrektes noch taugliches Bedrohungsmodell.
Ein Willkür- und Terrorstaat, der Menschenleben nicht achtet, ist auf Daten nicht angewiesen. Er wird Verfolgung und Tötung nicht im rechtlichen Sinne begründen, sondern lediglich propagandistisch rechtfertigen. Dabei kommt es ihm nicht auf Wahrheit und belastbare Belege an, sondern nur auf pragmatische politische Erwägungen: Welche (grob definierten) Bevölkerungsgruppen müssen für den Machterhalt bei Laune gehalten werden, welche eignen sich als Opfer und wie lässt sich den einen die Verfolgung der anderen erklären?
Praktisch folgt daraus erstens, dass der Terrorstaat die Verfolgungskriterien festlegt und dass diese nicht besonders scharf sein müssen. Anstelle der Juden, Homosexuellen, Kommunisten, Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, etc. pp. kann ein Terrorstaat auch Hexen, Astrologen und Grünäugige verfolgen -- und die Kriterien der Zugehörigkeit zu diesen Gruppen beliebig definieren. Was wenn beim nächsten Zusammenbruch der Zivilisation Paranoide verfolgt werden -- Menschen, über die keine Daten vorliegen?
Zweitens schuldet ein Willkürstaat seinen Opfern keine Rechtfertigung. Er wird vielmehr umgekehrt von seiner Bevölkerung Rechtfertigungen und Ergebenheitsgesten verlangen. Wie Du zu Deinem Ariernachweis kommst, ist Dein Problem.
Drittens erlegt sich ein Terrorstaat keine Grenzen auf. Um ihm zum Opfer zu fallen, muss man lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Ein Willkür- und Terrorstaat hat kein Problem damit, auf der Straße Passanten zusammenzutreiben und sie zu erschießen. Dazu braucht man keine Daten, sondern Männer mit Gewehren.
Dass irgendwelche Daten über Dich nicht gespeichert sind, schützt Dich nicht vor Willkür und Terror.
Papageier
Der Nazivergleich schießt übers Ziel hinaus, ganz klar. Aber der 'Jeder-Nazivergleich-ist-undenkbar-und-infam'-Reflex hilft genauso wenig weiter. Tweets verkürzen und provozieren, das ist ihre Natur. Und ein Funken Wahrheit steckt schon drin: Terrorregime fangen nicht erst dort an, wo Männer mit Gewehren auf der Straße Menschen zusammentreiben. Hat die Stasi z.B. nie gemacht, trotzdem würde ich ihr Handeln ganz klar einem Terrorregime zuordnen. Auch die Nazis haben nicht mit KZs und Massenmord angefangen, sondern mit miesen kleinen Drangsalierungen im Alltag. Und die - jetzt nähern wir uns dem wahren Kern - gehen tatsächlich umso einfacher, je effizienter und umfassender die Datensammlung ist.
Natürlich sieht man der reinen IP nicht unmittelbar an, welche Merkmale eine dazu gehörige Person hat. Aber wenn mehr Daten zusammen kommen, entstehen schnell umfassende Profile, die sich sehr wohl zur Unterdrückung (oder schlimmerem) eignen. Wie bedenklich das schon bei Ortsdaten ist, hast Du (Alvar) ja selbst geschrieben. (Genau die sollen jetzt ja per EU-Verordnung schon mal von jedem Auto ständig abgegriffen werden.)
Ja, der Vergleich ist krass und nur sehr teilweise begründet, aber er rüttelt wach: wehret den Anfängen von etwas, was in den falschen Händen großen Schaden anrichten kann.
Am Rande bemerkt: auch Dein Vergleich mit fefe hinkt. Tut mir leid, dass Du ihm zum Opfer gefallen bist. Aber der @padeluun hat objektiv niemanden persönlich angegriffen oder beschimpft, und (imho) auch keinen Meinungstotschlag betrieben. Fragwürdige Verkürzung, ganz sicher; aber mei - es ist nun mal ein Tweet.
Sven Türpe hat auf den Kommentar von Papageier geantwortet
Zur Unterdrückung eignen sich nicht nur Daten, sondern zum Beispiel auch Wasser (vgl. -werfer, -folter sowie die DHMO-FAQ - http://www.dhmo.org/facts.html). Damit können wir unterschiedlich umgehen:
(1) Wir könnten einen Wasserschutz pflegen, der die Handhabung von Wasser nur mit Einwilligung des Betroffenen oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt, Wassersparsamkeit fordert und Betroffenen einen Anspruch auf Trocknung gibt. Wasserschutzbeauftragte und Bürgerinitiativen wüden diesen Wasserschutz überwachen. Dieser Ansatz liefe darauf hinaus, Unterdrückung dadurch zu verhindern, dass man ihr bestimmte Mittel entzieht. Wollten sich Unterdrücker an diese Regeln halten (was sie nicht müssten), so würden sie auf Wasser verzichten und ihre Opfer zum Beispiel zur "Erholung" in eine Wüste schicken.
(2) Oder wir könnten uns auf den Kern des Problems konzentrieren und Unterdrückung unabhängig von den eingesetzten Mitteln und Methoden vermeiden. Zu diesem Zweck würden wir gemeinsame Werte entwickeln und verteidigen, etwa Menschen- und Bürgerrechte. Wir würden unseren Staat so konstruieren, dass er unseren Wertvorstellungen folgt und unsere Werte verteidigt, und dass er dabei gleichzeitig eine Tendenz zur Selbststabilisierung zeigt. Wasserschutz kann eine Folge und Ausprägung dieses Ansatzes sein, stellt jedoch nicht seine Essenz dar.
In der ersten Sichtweise wird Wasserschutz zu einem Fetisch, losgelöst von Zweck und Nutzen, in der zweiten unterwirft er sich und dient einem Zweck. Warum dieser Sermon? Weil Du Stasi gesagt hast. Die Stasi assoziieren wir mit Akten und Spitzeln und geöffneten Briefen und Geruchsproben. Das ist alles richtig, geht aber am Kern vorbei. Diese ganzen Daten und Datenträger waren Mittel zu einem Zweck, und im Zweck lag das Problem. Falsch an der Stasi war zuerst ihre Rolle in der Gesellschaft als Organ zum Machterhalt, kaum kontrolliert und mit weitreichenden Befugnissen. Die Stasi, das waren genau die Männer mit Gewehren und nur die politische Opportunität ließ sie meist zu anderen Mitteln (z.B. Prügel, Psychofolter, Zersetzung) greifen.
Dass nicht die Akten der Stasi oder die Informationen darin per se das Problem sind, macht unser Umgang damit offensichtlich. Die Akten gibt es nämlich immer noch, zerrissene werden sogar wiederhergestellt. Sie dienen jetzt nur anderen Zwecken. Für ihre Erhaltung eingesetzt hatten sich nicht zuletzt Opfer der Stasi. Wären Datensammlungen als solche ohne Ansehen des Verwendungskontextes problematisch, hätte man diese Daten nicht erhalten dürfen, sondern man hätte die sich auflösende Stasi bei ihrer restlosen Vernichtung unterstützen müssen.
Die einfache Gleichung viele Daten == wie die Stasi stimmt nicht.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Papageier geantwortet
Die DDR gilt gemeinhin nicht als Terrorstaat, sondern als Unrechtsstaat. Das ist jetzt nur Wortklauberei, hat aber natürlich einen wahren und wichtigen Kern. Dennoch will ich das nicht weiter ausführen, weil es an der Sache vorbei geht.
Das Drangsalierungen und Grundrechtseinschränkungen und so weiter dadurch verstärkt werden können, wenn der Staat mehr über den Einzelnen weiß, das ist ja nun kein Geheimnis. Es geht um die Frage, ob man die Vorratsdatenspeicherung mit dem Holocaust vergleichen sollte. Und bei aller Kritik an der VDS: sie mit dem Holocaust, mit industriellem Massenmord zu vergleichen ist vollkommen daneben. Entweder verharmlost es den Holocaust oder es dämonisiert die VDS auf eine Ebene, die jeglicher seriösen Diskussion entbehrt. Du schreibst nun: ach, es ist nur ein Tweet. Nein, ist es nicht, es ist eine Haltung, die ja auch durch die Folgetweets untermauert wurde und bei vielen Leuten aus der Szene in ähnlicher Form geäußert wird. Eine Haltung, die ich in obigem Beitrag kritisiere, weil sie den Blick auf jede sinnvolle Diskussion verstellt – ja verstellen soll!
Ich habe primär geschrieben, dass man die einzelnen Datenarten anhand ihrer Eingriffstiefe unterscheiden sollte, wie es auch das Bundesverfassungsgericht schon angedeutet hat. Und ich habe die Daten in vier Kategorien und drei bis vier Eingriffstiefen unterteilt.
Du schreibst, dass man den Anfängen wehren soll, weil man nie wisse, wohin es führe. Weiter oben schreibst Du über Terrorregime, die Stasi usw. Ein Mittel von Terror- und Unrechtsregimen sind Geheimpolizeien, paramilitärische Einheiten, spezielle Abteilungen der Polizei und so weiter.
Nach der strengen Logik „wehret den Anfängen“ dürfte man also auch keine Polizei und ähnliches einführen, denn das kann man als ersten Schritt hin zu einer Geheimpolizei und Unterdrückung sehen. Das wäre die Konsequenz.
Wir haben uns als freiheitlich-demokratischer Staat aber auf einige Grundlagen des Zusammenlebens geeinigt, und dazu gehört eben auch die Polizei. Deswegen sind wir aber noch lange nicht auf dem Weg zu einem Unrechtsstaat.
Serum
Jo, Alvar hat's mal wieder verstanden. Genau DAS braucht
es in Zeiten der Totalüberwachung: Bürgerrechtler, die sich gegenseitig
zerlegen, anstatt gemeinsam gegen Überwachung zu kämpfen m( ...
Sven Türpe hat auf den Kommentar von Serum geantwortet
Du meinst es nicht so, aber Du liegst vollkommen richtig: Auf die offene Auseinandersetzung kommt es an, auf den konstruktiven Streit, auf das Hin und Her aus Verdichtung zu Parolen und Kritik an deren Beschränktheit. Die Zeit der fest geschlossenen Reihen haben wir zum Glück lange hinter uns gelassen.
alex hat auf den Kommentar von Alvar Freude geantwortet
Ich lese aus dem Beitrag etwas anderes heraus, als wo du drauf antwortest.
Asdf erzählt, wozu Datensammlungen führen. du beißt dich an IP-Adressen fest.
Wayne, eine IP-Adresse kann ich mit einem vertrauenswürdigem VPN verbergen. Aber eine Datensammlung, z.B. zentrale elektronische Melderegister, eGK, und so weiter, da komme ich nicht gegen an.
Und VDS selber mag momentan nur Standort, IP, Metadaten wie wer ruft wen an speichern ... ist aber ein Rad in der Komplettüberwachung in die wir gerade steuern. Und spätestens die Kombination aller dieser Techniken wird dem nächstem großem Diktator eine große Hilfe sein, insofern stimme auch ich padeluun zu. Da muss drauf hingewiesen werden, gerade um die ganzen Verharmloser, die es ja laut eigener Aussage sowieso nicht betrifft zu bremsen, denen mal vor die Augen zu führen, dass schon damals keiner davon gewusst haben will ...
Lasst uns die Techniken die uns in schlechten Händen ins Verderben stürzen verhindern solange sie noch in guten Händen liegen bei Leuten mit denen man darüber reden kann, und bei denen man mit Demokratie etwas bewirken kann, bevor es zu spät ist.
alex hat auf den Kommentar von Sven Türpe geantwortet
Auch zu dir noch einmal kurz: Du hast das Problem, dass du aus "Keine VDS ist kein absoluter Schutz" folgerst, dass VDS nicht schadet.
Aber wenn es z.b. drei Techniken gibt, die schaden. Sollte man dann keine von denen abschaffen, solange man es nicht schafft alle drei gleichzeitig abzuschaffen? Also ich schaffe jede von denen ab, sobald es mir möglich ist, auch wenn die anderen zwei bestehen bleiben. Dann ergreife ich bei jeder der beiden die es noch gibt die Möglichkeiten auch hier etwas zu tun. Im besten Falle bis alle drei irgendwann weg sind. Aber auch wenn es von drei zu zwei wird, ist es ein Gewinn.
Das ist aber ein häufiger Trugschluss, dass Leute argumentieren dass es nicht reicht einen Teil zu besiegen um das Problem zu bewältigen, und daher meinen eine Gesamtlösung oder gar nichts haben zu wollen, oder das größte Problem zuerst lösen zu müssen, weil die kleinen ja dagegen nichtig erscheinen. Das gilt aber nur in dem Moment, wo das kleine Problem zu beseitigen so viel Ressourcen frisst, dass man mit denen vielleicht schon das große hätte lösen können. Dann stimmt die Verhältnismäßigkeit einfach nicht. Aber wenn ich so nebenbei ein kleines Problem bekämpfe und besiege während ich das große im Auge behalte, ist das eine gute Sache.
In dem Sinne, auch wenn die VDS allein zu besiegen nichts bringt, und die VDS alleine den nächsten Diktator nicht allmächtig macht, muss sie dennoch weg, denn sie gibt ihm Informationen, die kombiniert mit anderen beide wertvoller machen.
Sven Türpe hat auf den Kommentar von alex geantwortet
Das Problem am nächsten Diktator ist der Diktator (und jene, die ihm zur Macht verhelfen), nicht seine Werkzeuge. Du kannst heute genau nichts tun, was Dich in dieser hypothetischen Zukunft ruhiger schlafen lässt, so sie denn eintritt.
Wenn wir über die Vorratsdatenspeicherung seriös und konstruktiv diskutieren wollen, müssen wir es unter den Prämissen unserer gegenwärtigen Realität tun. Zu dieser gegenwärtigen Realität gehört ein ziemlich gut funktionierender Staat mit ebenfalls ziemlich gut funktionierenden Kontrollmechanismen -- ein Staat, dessen Organe es immerhin geschafft haben, ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu formulieren. Der nächste Diktator ist in diesem Zusammenhang nur ein Strohmann. Viel näher liegt die Frage, wie wir die offenbar tauglichen Grundprinzipien dieses Staates auf neue sozitechnsiche Entwicklungen anwenden, so dass dieser Staat einerseits seine Aufgaben erfüllt, andererseits aber nicht auf die schiefe Bahn gerät. Alle fundamentalistischen Antworten auf diese Frage sind falsch, schon weil sie die vorhandenen Checks'n'Balances -- Mechanismen zur gegenseitigen Kontrolle und Stabilisierung der gesellschaftlichen Institutionen -- nicht berücksichtigen.
Unter diesen Prämissen kann man immer noch allerlei Kritikpunkte an der Idee der Vorratsdatenspeicherung formulieren und andere Werkzeuge der Strafverfolgung und Rechtsdurchsetzung bevorzugen. Die Debatte bleibt dann aber näher an der Realität.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von alex geantwortet
Hmmm, in dem Kommentar, den Du kommentierst, schreibe ich gar nichts von IP-Adressen.
Steht auch im Gutachten.
Es geht in der gesamten Diskussion aber nicht um elektronische Melderegister, die eGK und so weiter. Es geht ausschließlich um die Vorratsdatenspeicherung.
Ich sehe anders als Du Standortdaten und Telefon/E-Mail-Verbindungsdaten nicht als harmlos an. Ich schließe aus Deinem „nur“, dass Du eine Speicherungspflicht dieser Daten als harmlos ansiehst. Wie kommst Du darauf, dass diese harmlos sind? Im Gutachten steht auch, warum ich die nicht als harmlos ansehe …
daMax
Könnte es sein, dass padeluun das hier meinte?
http://de.wikipedia.org/wiki/Judenkartei#Niederlande
Ich halte den Vergleich für gar nicht so weit her geholt. Ich persönlich finde aber auch nicht, dass ein Nazivergleich automatisch ein Ausschlusskriterium für jegliche Diskussion ist.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von daMax geantwortet
Ja, das und ähnliches meint padeluun.
Nun kann man getrost sagen, dass die VDS ganz großer Mist ist, sehe ich auch so. Aber sie deswegen in den Bezug zum Holocaust zu setzen ist mehrfach bescheuert und verharmlost den Holocaust. Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet nicht, nie, niemals die industrielle Massenvernichtung von Menschen. Ich finde diese Totschlagargumentation „aber schau was daraus werden kann, das kann den nächsten Diktator beim Massenmord unterstützen“ unerträglich.
Anonym hat auf den Kommentar von Alvar Freude geantwortet
Richtig, es wär wohl ne komplizierte Abfrage. Die man aber nur einmal formulieren/anlernen müsste und dann auf jeden anwenden kann und man müsste sie wohl für ein paar der großen Provider wiederholen und vermutlich geht’s auch nicht allein mit SQL. Und das Ergebnis wäre dann eher sowas wie: der ist zu geschätzten 95% ${verfolgte_gruppe} (nicht) angehörig (meinetwegen sinds auch nur 80% Trefferquote – spielt aber auch keine Rolle). Das schränkt den Kreis der potentiell zu verfolgenden genügend ein, um am Ende nahezu 100% zu erwischen …
So viel Phantasie braucht es doch nun wirklich nicht, um sich vorstellen zu können, wie sich aus Verbindungs- und Positions-Daten, bestimmte Verdachtsmomente ableiten ließen. Gehen z.B. die Rothaarigen auf die Straße, sobald aus Kreisen der Regierungspartei(en) erstmals mehr oder weniger unverholen Stimmung gegen sie gemacht wird, weiß man schon, bei wem zuerst an die Tür geklopft wird, wenn die Stimmung in Gesetze umschlägt. Soweit her geholt ist das doch nun wirklich nicht. (Was sich in Kombination mit anderen Datensammlungen, noch machen ließe, bleibt Deinem Wunsch gemäß, mal außen vor.)
Noch was anderes:
Welche bekannten Blogger lehnen per se jede IP-Sammlung ab, aber sammeln selbst IPs? Sollte ja ne lange Liste sein, wenn das im Prinzip eh auf alle zutrifft …
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Anonym geantwortet
Zum einen: hast Du im Gutachten gelesen, welche Daten gesammelt werden und welche nicht? Denn da liegt möglicherweise ein Missverständnis vor.
Zum anderen: Du gehst wohl davon aus, dass es überhaupt Informationen gibt, die diese Gruppe definiert. Das wage ich ganz stark zu bezweifeln. Wenn man das zu „orthodoxe, ihren Glauben praktizierende Juden“ ändert sieht es evtl. anders aus, aber davon war ja nicht die Rede.
Welche Informationen würdest Du denn in Deine Abfrage für „ist ein Jude“ einfließen lassen? Welches Kommunikationsverhalten haben die von Dir geschätzten 95% der Juden denn gemeinsam?
Ich glaube, Du hast ein falsches Verständnis von der Homogenität „der Juden“. Die Mehrheit dieser Menschen sind – vor allem waren vor dem Holocaust, heute ist es aufgrund geringerer Anzahl etwas anders – ganz normale Menschen, die keine Gemeinsamkeiten haben. Auch wenn so mancher glaubte, dass man sie anhand einer angeblichen Hakennase erkannte …
Ich glaube, Du hast das Gutachten wirklich nicht gelesen – denn da steht genau das drin!
Die Rothaarigen erkennt man auf der Straße gut. Aber in den Verbindungsdaten der Vorratsdatenspeicherung nahezu überhaupt nicht. Da kann man anderes erkennen, in der Tat. Aber nicht die Rothaarigen – und nicht „die Juden“.
Aber eigentlich führen wir hier eine Scheindiskussion. Die viel wichtigeren Fragen sind: welche Daten sind wie gefährlich, wie wichtig und wie soll man damit umgehen.
Sagen wir es mal anders herum: welcher bekannte Blogger (mit vielen Leser-Kommentaren!) speichert denn keine IP-Adressen seiner Kommentarautoren. Kennst Du einen einzigen? Ich mag nicht ausschließen, dass es da den einen oder anderen gibt. Ich kenne aber keinen einzigen.
Schneekatze hat auf den Kommentar von Alvar Freude geantwortet
"Welche Informationen würdest Du denn in Deine Abfrage für „ist ein Jude“ einfließen lassen? Welches Kommunikationsverhalten haben die von Dir geschätzten 95% der Juden denn gemeinsam?"
Ich würde die Datenbank mit den Daten bereits bekannter Juden füttern und dann einen Ahnlichkeitsgraph drauf laufen lassen: jemand der viel Kontakt mit Juden hat, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch einer sein. Den Rest macht dann Inferenz.
So etwas ähnliches hat man auf Facebook ja schon vor ein paar Jahren mit Homosexualität ausprobiert. Auch das gab lustige 80% Trefferquote bei Personen über die man nicht mehr kannte als: wer sind deine Freunde?
Sven Türpe hat auf den Kommentar von Schneekatze geantwortet
Der beschriebene Ansatz funktioniert mit beliebig falschen Daten und beliebig falschen Modellen, die Auswahl erfolgt letztlich willkürlich. Womit wir wieder bei meinen Grundsatzfragen wären: Sind die Daten das Problem oder ist es die Bereitschaft, eine Gruppe willkürlich ausgewählter Menschen schlecht zu behandeln? Wäre irgend etwas gewonnen, wählte man die schlecht zu Behandelnden schlicht zufällig aus? Braucht jemand objektive und richtige Begründungen, der aus einer Machtposition heraus Menschen schlecht behandelt?
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Schneekatze geantwortet
Sorry, da hatte ich vergessen etwas dazu zu schreiben:
Das setzt – getreu der Nazi-Ideologie – voraus, dass Juden ganz spezielle Menschen seien. Dies deckt sich aber nicht mit der Realität: Juden waren 1933 ganz normale Menschen wie Du und ich.
Es gibt und gab viele Möglichkeiten, „die Juden“ zu finden. Die Aufzeichnung von Kommunikationsdaten war dafür weder nötig noch wäre sie besonders hilfreich.
Allerdings, und das möchte ich noch einmal betonen, entfernen wir uns zunehmend von den Grundfrage. Zum einen die Tabuisierung jeglicher Diskussion durch solch dämliche Vergleiche und zum anderen gibt es an der Vorratsdatenspeicherung – so wie sie von der EU-Richtlinie vorgesehen ist (Update: gemeint ist: prinzipiell bei der dort vorgesehenen Datensammlung) – massenweise zu kritisieren. Einen solch dämlichen Holocaust-Vergleich braucht man dazu nicht. Und auch in meinem Gutachten gibt es genug Hinweise und eindeutige Kritik an der VDS.
Achim
Wie man über einen Tweet so eine Abhandlung schreiben kann ist mir schleierhaft. Ich sehe es so: padeluun hat nicht mal annähernd soviel Reichweite, dass man ihm hier Populismus im Sinne von "Meinungsführerschaft, Meinungshoheit" oder den Anspruch danach nachsagen könnte. Und ab da braucht man "meiner Meinung" nach auch nicht mehr weiterlesen, da es dann nur noch, der zuvor selbst kritisierte, "rant" an Fefe und padeluun ist. Tut mir Leid, das war nichts!
Wolf-Dieter
Die nationalsozialistische Judenverfolgung bediente sich, wo verfügbar, aus dem Datenbestand der Volkszählung. Die Auswertung der Volkszählungsdaten war mit dem Hollerith-Verfahren erfolgt - lange bevor die Nazis die Macht mit einem Kuss auf die Stirn überreicht bekamen.
Hollerith sagt dir was? Das sind diese Lochkarten, die mit Stricknadeln aussortiert wurden. Vorläufer der späteren EDV (bzw. heute IT). Technisch geniales Verfahren für die damalige Zeit, übrigens.
Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung schafft heute Datenbestände, aus denen sich meine Bewegungsdaten problemlos auslesen lassen.
Die heute beschließende Regierung kann gute Absicht nur für sich selbst versprechen, nicht jedoch für die Regierung nach Neuwahlen. Willst du ausschließen, dass in den nächsten Jahren nach verschärften sozialen Unruhen ein neuer Faschismus für Ruhe und Ordnung sorgt? Ich nicht.
Godwin's Law? Dass ich nicht lache!
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Wolf-Dieter geantwortet
Wolf-Dieter: einfach die Diskussion in den Kommentaren hier lesen. Wurde alles schon durchgenommen.
Wolf-Dieter hat auf den Kommentar von Alvar Freude geantwortet
@Alvar Freude
Auf geradem Weg ist es in der Tat nicht drin. Aber programmiertechnisch leicht zu ermitteln über gezielte Abfrage von Querverbindung und Schlussfolgerung.
Auf dem Weg lässt sich nicht nur Religion ermitteln (ziemlich egal), sondern mit geschickter Fragestellung JEDES beliebige Attribut, z. B. politische Aktivität (gar nicht mehr egal, oder?) und in Folge Recherche nach Kompromat, um politische Aktivität zu ¨kanalisieren¨.
Die Daten seien nicht ¨zentral¨? Technisch nein, politisch ja. Der Staat fragt an, und zwar zu Person X bei JEDEM Provider. Aus den Daten generiert er eine eigene Datenbank (nach der Abfrage nicht mehr gesetzlich beschränkt).
Alvar, in meiner Arbeitstätigkeit habe ich über den ¨Flurfunk¨ eines bestimmt gelernt: absolut jedes Gerücht ist WAHR.