Ein paar Gedankenspiele zum „Fall Edathy“, der nun auch zum „Fall Friedrich“ wurde.
Was wäre eigentlich passiert, wenn Friedrich Sigmar Gabriel nicht informiert hätte? Puh, vielleicht wäre Edathy Innenminister geworden. Oder Staatssekretär. Und dann? Irgendwann wäre es auch rausgekommen und der GAU wäre auch da. Oder er hätte die Möglichkeit gehabt die Ermittlungen zu behindern. Oder vielleicht wären die Ermittlungen eingestellt worden, aber es wäre sicher durch irgendjemanden der plaudert rausgekommen – und dann heißt es: Bundesregierung vertuscht Kinderporno-Ermittlungen. Autsch. Oder man stelle sich vor, Edathy hätte sich als Innenminister oder Staatssekretär gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen – und dann kommt eine solche Ermittlung gegen ihn. Na dann gute Nacht!
Friedrich hätte natürlich auch drauf drängen können, den Fall schnell zu bearbeiten, schnell zu durchsuchen. Und dann? Vielleicht stellt sich anschließemd raus: da ist nix. Regierungspartner verärgert, das Leben eines Politikers zerstört.
Letztendlich hätte Friedrich wohl in jedem Fall die Arschkarte gezogen. Egal was er macht: es besteht die Gefahr einer Regierungskrise. Das dürfte sich nur verhindern lassen, wenn man als Minister erst gar nicht von solchen Sachen erfährt. Nur: wer glaubt denn im Zweifelsfall einem Minister, der behauptet, er wusste nicht bescheid?
Abgesehen von dem allen finde ich die Sachen weiterhin ominös. Neun „Bestellungen“ mit 31 Produkten? 31 Bilder? [Update: im Brennpunkt eben hieß es: Filme; das passt dann eher.] Solche Bilder bestellt man ja in der Regel nicht einzeln, dachte ich mir bisher. Und als Spitzenpolitiker für solches Zeug mit Kreditkarte bezahlen, wie dämlich ist das denn? Auch wenn die Bilder dem Vernehmen nach nur im Grenzbereich zur Strafbarkeit liegen.
Update zum letzten Absatz: Ich habe mir nun die Erklärung der Staatsanwaltschaft Hannover angeschaut. Sehr sehenswert. Meine (gestrichene) Frage von oben wird da klar: es gab zwischen 2005 und 2010 insgesamt neun Bestellungen von Bilder-Sets und Filmen nackter Jungs zwischen geschätzten 9 und 14 Jahren. Davon die meisten per Post an Edathys Adresse, die letzten beiden zum Download. Vermutlich sind die Bilder und Filme nicht strafrechtlich relevant, aber der Erwerb solcher Bilder deutet für Ermittler oft darauf hin, dass die jeweiligen Käufer weiteres, auch strafrechtlich relevantes Material besitzen.
Cyrus McDugan
Ich bezweifle, dass sich die Union das Innenministerium aus den Händen hätte nehmen lassen. Das letzte Mal, das der kleinere Koalitionspartner den Posten inne hatte, war von 1978 bis 1982: Gerhart Baum.
Aber mal angenommen, Friedrich hätte Gabriel nicht unterrichtet. Innerhalb der oberen Unionskanälen wäre die Nachricht aber mit ziemlicher Sicherheit weitergegeben worden. In dem Fall hätte die Union Edathy zwar für jegliche Position abgelehnt, um einen Skandal für die Koalition zu verhindern, hätte aber vermutlich nicht den Grund dafür mitgeteilt.
Der Punkt, an dem es kippte, war der Augenblick, als die Information an Friedrich gegeben wurde. Von da an wäre es so oder so schiefgegangen, denn er sah sich aus Loyalität verpflichtet irgendjemanden zu benachrichtigen. In diesem Fall war es die SPD.
Jörg Tauss
Genau deshalb gibt es einen Immunitätsausschuss, werter Alvar. Insofern: Zu kurz gesprungen... ;)
Oldman
1. Es handelt sich offensichtlich um Bilderserien, nicht um Einzelbilder.
2. Richtiger wäre gewesen, wenn Friedrich sich in seiner Hilflosigkeit an die Kanzlerin gewandt
hätte.Frau Merkel wiederum hätte Wege gefunden, zu verhindern, dass Edathy von der SPD
für ein "wichtiges" Amt vorgeschlagen worden wäre.
3. Bei der großen Anzahl von Verdächtigen sind bei deutschen Ermittlungsbehörden 100te Beamte/Angestellte involviert. Das Leck nur in der Linie Friedrich-Gabriel-Steinmeier-Oppermann zu suchen ist gar zu einfach.
4. zu 2: ich mag Merkel nicht, traue ihr aber zu besser mit solchem Wissen umzugehen als der Lockenkopf aus Oberfranken.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Cyrus McDugan geantwortet
Ja, sag niemals nie … Und es muss ja nicht Minister sein, Staatssekretär ist ja auch schon mal was.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Jörg Tauss geantwortet
Der Immunitätsausschuss kommt erst ins Spiel, wenn die Immunität aufgehoben werden soll. Der Minister wurde weit vorher informiert, die Ermittlungen wurden erst Monate später dem Bundestagspräsidenten angezeigt.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Oldman geantwortet
Die Posten werden üblicherweise von den jeweiligen Parteien besetzt, von daher …
Und: wir wissen nicht, ob Merkel informiert wurde. Das kann durchaus sein, es kann auch sein dass sie gesagt hat: rede mit Merkel. Man weiß es nicht …
Ja, auch wenn es natürlich naheliegend ist. Es kann auch sein, dass Edathy das aus den Berichten die anfang November aus Kanada kamen hatte, und danach seinen Anwalt losgeschickt hat. Da gibts viel zu spekulieren, die Wahrheit werden wir wahrscheinlich nie erfahren.
sumosu
Regierungskrise hin oder her, durch seine Handlungsweise hat Friedrich gezeigt, dass er Postengeschacher, politische Köpfe und das "Ansehen" der Koalition über die Achtung des Rechtsstaates stellt. Ganz selbstverständlich hat er sein Dienstwissen gebraucht um dem Koalitionspartner einen väterlichen Tipp zu geben. Das ist Machtmissbrauch und es ist genau der Wissensmissbrauch, der Gebilde wie die NSA so monströs gefährlich macht.
Friedrich fehlt das Demokratieverständnis um auch nur ansatzweise zu überblicken, welchen Schaden er durch seinen Geheimnisverrat angerichtet hat, einen Schaden an der Rechtsstaatlichen Substanz und am Ansehen aller Politiker die sich als Kaste jenseits von Recht und Gesetz verstehen.
Also: Nein, es wäre nicht so oder so die Arschkarte für Friedrich gewesen.
jo
Ich denke ein weg für Friedrich wäre gewesen der Kanzlerin bescheid zu sagen. der gegenüber sollte er so etwas äußern dürfen und sie hätte das von Parteichef zu Partechef (fraglich) oder im Rahmen der Regierungsbildung ("den mag ich nicht") kommunizieren können ... natürlich kennen wir unsere Kanzlerin - die hätte es Friedrich zurück gegeben, aber dann wäre aus dem Schneider ... so lange er sich im Zweifel dann doch für sie opfert ...
Alvar Freude hat auf den Kommentar von sumosu geantwortet
Wie oben geschrieben: Was wäre, wenn Edathy ein Amt in der neuen Regierung erhalten hätte?
Das ganze ist leider nicht so trivial, und ein (Innen)Minister ist auch verpflichtet, Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwehren. Von daher meinte ich ja: egal was er gemacht hätte, er hätte auf jeden Fall die Arschkarte gezogen. Und ich bin nun kein Freund von seiner Politik usw.
Eine ganz andere Situation wäre es gewesen, wenn die Koalitionsbildung schon abgeschlossen wäre oder ähnliches.
Nichtsdestotrotz gehe ich auch davon aus, dass sein Verhalten rechtswidrig war.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von jo geantwortet
Wir wissen nicht, ob er sie nicht auch informiert hat. Vielleicht hat sie ihm sogar geraten, Gabriel zu informieren. Keine Ahnung, wir wissen es nicht.
Ein wichtiger Grundsatz bei Koalitionen ist, dass jede Fraktion ihre Leute selbst bestimmt. Da rein zu reden wäre auch nicht hilfreich gewesen.
tauss hat auf den Kommentar von Alvar Freude geantwortet
Exakt das ist ja das Problem..... Es gab nichts außer Spekulationen über Infos aus dem Ausland. Und was hätte en Rücktritt bedeutet? Nichts im Vergleich zumn jetzigen Schaden....
http://www.tauss-gezwitscher.de/?p=3918
Alvar Freude hat auf den Kommentar von tauss geantwortet
Wenn jemand in die Regierung eintritt, und der Dienstvorgesetzte schon vorher weiß, dass er einer moralisch sehr fragwürdigen Tat bezichtigt wird? Nun …
Das weiß man immer erst hinterher. Dass die jetzige Situation eintritt war auch nicht ohne weiteres abzusehen. Angenommen in Berlin haben alle dicht gehalten und Edathy hat aufgrund von Medienberichten oder Hinweisen aus Hannover den Anwalt eingeschaltet – war das vorher abzusehen? Angenommen, er hätte vor einer Durchsuchung nichts unternommen: dann wäre für Berlin alles in Ordnung. Keiner hätte da jemals Fragen gestellt, wahrscheinlich.
Hätte, hätte, Fahrradkette. Hinterher ist man immer schlauer. Kennst Du ja …