Datenhehlerei und Pressefreiheit

Gestern berichtete Markus auf Netzpolitik.org, dass durch den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung die Arbeit von Netzpolitik.org kriminalisiert und somit die Pressefreiheit eingeschränkt werde.

Dies erscheint mir offensichtlich falsch und passt auch in die Rubrik, was man tun sollte, wenn man für die Vorratsdatenspeicherung kämpfen will: Nichts ist in der politischen Diskussion einfacher, als die Gegenseite dadurch zu diskreditieren, dass man ihr grobe Fehler in der Argumentation nachweist. Man mag die Regelung nicht toll finden, aber das zieht auch die besten gültigen Argumente nach unten.

Update: Ulf sieht das ganz anders und hat das auch begründet

Markus argumentiert, dass mit dem geplanten §202d StGB 

[…] auch gegen Whistleblower vorgegangen werden [kann]. Beispielsweise dann, wenn uns hier als journalistisches Medium interne Dokumente zur Aufklärung von Missständen zugeschickt werden. Wir sind dann auch davon betroffen, wenn uns die Dokumente dann nicht nur vorliegen, sondern wir sie auch veröffentlichen. Damit wird unsere journalistische Arbeit in besonderen Fällen kriminalisiert.

Dies ist allerdings falsch, im Wortlaut des Referentenentwurfs stehen drei Gründe, warum das in der Regel nicht der Fall ist (Hervorhebungen von mir):

§202d Datenhehlerei

1) Wer Daten (§202a Absatz 2), die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Vortat angedrohte Strafe.
(3) Absatz 1 gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Dazu gehören insbesondere solche Handlungen von Amtsträgern oder deren Beauftragten, mit denen Daten ausschließlich der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen.

Damit §202d greift, muss der Datenlieferant die Daten durch eine rechtswidrige Tat erlangt haben. Für einen Informanten aus einem Ministerium ist das nicht ausreichend: er hat die Daten nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig.

Die – auch von netzpolitik.org veröffentlichte – Gesetzesbegründung erläutert das auch entsprechend:

Nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt sind Daten, die dem Vortäter bereits zur Verfügung stehen und die er unter Verletzung des Urheberrechts vervielfältigt. Ebenso wenig erlangt der Vortäter Daten durch eine rechtswidrige Tat, wenn er lediglich eine Vertragsverletzung, ein Disziplinarvergehen oder eine Ordnungswidrigkeit begeht. Als Vortat ist es daher nicht ausreichend, wenn in einem berechtigt genutzten System Daten lediglich unter Verletzung von vertraglichen Zugriffsbeschränkungen erlangt werden.

Ab Seite 51 wird ausführlich erläutert, was Voraussetzung dafür ist, damit die Regelung überhaupt greift.

Jetzt könnte aber auch der Fall eintreten, dass ein „Hacker“ entsprechende Daten besorgt und weitergibt. Dann würde obige Regelung den Veröffentlicher nicht schützen. Aber dafür greift noch als weitere Voraussetzung, dass der Veröffentlichende (also der „Hehler“) sich bereichern oder andere schädigen will. Dies muss unmittelbar und vorsätzlich geschehen. Die Vorraussetzungen wären beispielsweise beim Handel mit kopierten Kreditkartendaten erfüllt – was ein Grund für die Einführung von §202d ist.

Aber selbst, wenn dies die Strafbarkeit durch die Redakteure bei netzpolitik.org nicht ausschließen würde, gäbe es noch einen dritten Grund, warum §202d nicht die Pressefreiheit einschränkt: wer Daten aus dienstlichen oder beruflichen Gründen veröffentlicht, macht sich nicht strafbar. Damit sind auch Journalisten gemeint, wie die Begründung deutlich macht:

Von beruflichen Pflichten sind insbesondere auch journalistische Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung umfasst.

Eine Strafbarkeit der Redakteure von netzpolitik.org scheidet also mehrfach aus, und damit auch der Vorwurf, der Gesetzesentwurf würde die Pressefreiheit bedrohen.

Damit sage ich nicht, dass ich den §202d StGB aus dem Entwurf für gut halte – ich habe zu dem noch keine abschließende Meinung. Als Klarstellung könnte in Absatz 3 beispielsweise noch explizit Journalisten erwähnen. Und ich sage damit auch nicht, dass ich den Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung insgemsamt für gut halte – da gibt es einige Punkte, die ich für falsch halte, auch wenn an so mancher Stelle ein deutlicher Fortschritt gegenüber den alten Regelungen besteht.

Wenn man aber gegen einen Gesetzesentwurf argumentiert, muss man dies sauber und korrekt machen. Wenn die Gegenseite die eigenen Argumente einfach in der Luft zerpflücken kann, dann wird die eigene Glaubwürdigkeit auch in den Bereichen geschwächt, in denen man Recht hat. Wenn ein BKA-Chef oder ähnliches zu Recht sagen kann: Die Behauptung X der Gegner ist Unsinn (oder gar gelogen), dann ist die Glaubwürdigkeit dahin – und das ist in der Regel ja nicht wirklich beabsichtigt. Aber genau das passiert in der Praxis, ich habe das schon mehrfach erlebt. Und wenn der BKA-Präsident dann Recht hat, dann ist das ziemlich doof.

Update: Ulf sieht das wie gesagt ganz anders. Ich kann seine Begründung nachvollziehen, halte die Dramatik aber etwas für übertrieben und mir scheint das ganze nicht beabsichtigt zu sein; Verurteilungen von Journalisten erscheinen mir sehr zweifelhaft – aber es ist natürlich auch richtig, dass alleine schon ein Ermittlungsverfahren unschöne Folgen haben kann. Daher wäre es hier nach meiner Einschätzung am hilfreichsten, an der Stelle auf eine Änderung zu drängen, als das als Ansatzpunkt für eine Kampagne gegen das gesamte Vorratsdatenspeicherung-Gesetz zu nehmen. Denn das geht in die Hose.