Wie wirr ist das AfD-Parteiprogramm?

Correctiv hat gestern den Entwurf für das AfD-Parteiprogramm veröffentlicht. Die Partei, die sich gern als in Inkarnation von „das Volk“ ansieht und eine „Alternative für Deutschland“ sein will, hat das Parteiprogramm aber nicht von der Basis entwerfen lassen, sondern der Parteivorstand hat im Geheimen ein Showprogramm entwickelt. Ich habe mir das mal abseits von den Punkten, über die bereits breit berichtet wurde, angeschaut, und es ist gruselig – da kann ich allen Protestwählern noch mal dringend meine Anleitung zum Protestählen empfehlen.

Dabei offenbart sich – wenig überraschend – eine „früher war alles besser“-Partei: mal wollen sie zurück in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (Frauen an den Herd), mal nochmals hundert weitere Jahre zurück (Sozialversicherungen durch die Familie ersetzen). Aber an einigen Stellen wird es besonders wirr. Hier einige Highlights: 

Arbeitslosenversicherung abschaffen

Wir wollen das Arbeitslosengeld I privatisieren. Arbeitnehmern steht dann der Weg offen, mit eigenen und individuell maßgeschneiderten Lösungen für den Fall der Arbeitslosigkeit vorzusorgen. Dabei können private Versicherungsangebote ebenso eine Rolle spielen wie die Familie oder der Verzicht auf Absicherung zugunsten des schnelleren Aufbaus von Ersparnissen.

Das bedeutet: nur noch Arbeitnehmer sollen den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bezahlen, aber nur wenn sie wollen – bzw. eine Versicherung bekommen. Privatisierung bedeutet natürlich auch, dass gewinnorientierte Unternehmen sich ihre Versicherten aussuchen können. Daher bleibt dann für viele nur „der Verzicht auf Absicherung“, die AfD will das Solidarsystem abschaffen.

Unfallversicherung den Unternehmen ersparen

Die AfD hält die gesetzliche Unfallversicherung für Arbeitnehmer nicht mehr für zeitgemäß. Es findet sich eine Vielzahl von privaten Angeboten, mit deren Hilfe Unfallrisiken angemessen abgesichert werden können. Die AfD will daher Arbeitnehmern die Flexibilität geben, sich freiwillig für eine Teilnahme an der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden.

Sprich: die AfD will den Unternehmen die gesetzliche Unfallversicherung (Betriebsunfallversicherung) den Unternehmen ersparen, Arbeitnehmer könnten sich ja selbst versichern. Das bedeutet auch: die Risiken für Betriebsunfälle sollen nicht mehr vom Arbeitgeber sondern vom Arbeitnehmer getragen werden – und das soll als „Flexibilität“ verkauft werden. WTF, auf diesen dummen Gedanken kommt ja noch nicht mal der extremste Flügel der FDP!

Sozialversicherungen? Sind ja sowas von 1880er …

Die AfD tritt dafür ein, dass Deutschland auch bei den sozialen Sicherungssystemen eine Rückbesinnung auf bewährte Tugenden braucht. Die staatliche Sicherung ist für Notlagen gedacht, darf nicht überfordert werden und soll und kann die Familie als Keimzelle gesellschaftlicher Solidarität nicht ersetzen. Wir erkennen dabei, dass das Umlagesystem Halt in schwierigen Zeiten geben kann, gleichzeitig aber auch die Selbständigkeit des Bürgers untergräbt und bewährte familiäre Strukturen unterlaufen kann. Wir wollen daher eine Reform der sozialen Sicherungssysteme

Zurück ins Mittelalter: die AfD will die Errungenschaften Bismarcks abschaffen und die Sozialversicherungen abschaffen oder einschränken. Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung untergrabe die „Selbständigkeit des Bürgers“, wie dumm ist das denn? Die AfD begeht damit einen gesellschaftspolitiken Amoklauf, der insbesondere zu Lasten von sozial Schwachen geht und den sozialen Frieden zerstören würde.

Juchu, der Hunger in der Welt ist vorbei: CO2 ist gut für's Pflanzenwachstum!

[Der Weltklimarat und die] deutsche Regierung unterschlagen jedoch die positive Wirkung des CO2 auf das Pflanzenwachstum und damit auf die Welternährung. Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus.

[…]

Die AfD sagt daher Ja zum Umweltschutz, macht aber Schluss mit der „Klimaschutzpolitik“ und mit den Plänen zur Dekarbonisierung und „Transformation der Gesellschaft“. Das Stigmatisieren des CO2 als Schadstoff werden wir beenden und alle Alleingänge Deutschlands zum Reduzieren der CO2-Emissionen unterlassen. CO2-Emissionen wollen wir nicht finanziell belasten. Klimaschutz-Organisationen werden nicht mehr unterstützt.

Ja klar, einfach mal ein bisschen mehr CO2 ausstoßen, und schon ist die „Welternährung“ kein Problem mehr? Tja, so sehen dann die Verschwörungstheorien der „Klimaskeptiker“ aus. – Nun, man kann sich sicherlich drüber streiten, welche Maßnahmen nötig sind und was man denn der Wirtschaft zumuten will. Aber die komplette Leugnung dessen aktuellen Stands der Forschung ist dummdreiste Ideologie.

Lügenpress…, ähm, öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen, AfD-Regierungssender einsetzen

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten werden privatisiert. Sie finanzieren sich von 2018 an selbst. Der Beitragsservice wird ersatzlos abgeschafft. Die staatliche Informationsversorgung wird durch einen steuerfinanzierten Rundfunk mit zwei Rundfunksendern und zwei Fernsehsendern geleistet.

Also, die ach so verhassten (weitgehend) unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten („Lügenpresse!“) will die AfD abschaffen. Ist ja böse böse Lügenpresse. Aber anständige Machthaber brauchen natürlich Propagandasender, und die will die AfD dann, wenn sie an der Macht ist, auch wieder einführen. Die neuen Propagandasender werden dann wahrscheinlich auch verpflichtet, nur die Wahrheit zu berichten – die AfD-Wahrheit natürlich. Dreister geht es kaum: sich beschweren, dass die Presse angeblich nicht neutral sei, aber staatliche Propaganda-Sender einrichten wollen. So sieht Pressefreiheit nach AfD-Geschmack aus …

Verschwörungstheoretikerkacke vom fehlenden Rechtsstaat

Wir wollen den Rechtsstaat stärken und dem Recht wieder zur Durchsetzung verhelfen. Erstens müssen sich die Bürger auf das Recht und ihr Recht verlassen können. Zweitens müssen sich die Organe und Institutionen des Staats wieder an das Recht halten. Vor einem Staat, der das Recht mit Füßen tritt, sind auch die Bürger nicht sicher.

Beispiele, wo denn angeblich der Rechtsstaat versagt, nennt die AfD natürlich nicht. Es einfach mal so behaupten ist natürlich einfach. Tja, Rechtsstaat à la AfD ist wohl: alle Gerichte entscheiden so, wie das die AfD will. Das ist zwar genau das Gegenteil von Rechtsstaat, aber, hey, hauptsache es klingt gut!

Bürger an die Waffen!

Ein liberaler Rechtsstaat muss seinen Bürgern vertrauen. Er muss es nicht nur ertragen können, dass Bürger legal Waffen erwerben und besitzen, sondern muss die Handlungsfreiheit seiner Bürger bewahren und freiheitsbeschränkende Eingriffe minimieren.

Wie toll das ist, wenn jeder Depp „legal Waffen erwerben“ kann, sieht man ja an den USA. Das ist einfach nur gaga.

Individualität? Ist mist. 

Staatliche Institutionen wie Krippen, Ganztagsschulen, Jugendämter und Familiengerichte greifen immer in das Erziehungsrecht der Eltern ein. Gender Mainstreaming und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit. Die Wirtschaft will Frauen als Arbeitskraft. Ein falsch verstandener Feminismus schätzt einseitig Frauen im Erwerbsleben, nicht aber Frauen, die “nur” Mutter und Hausfrau sind. Diese erfahren häufig geringere Anerkennung und werden finanziell benachteiligt.

Die AfD will keine Idividualität, irgendwie erinnert mich das fundamental an die NS-Ideologie und die völkische Kollektivität, die das Individuum ablösen soll. Aber aber, bestimmt verstehe ich das nur falsch … – Nun, Jugendämter und Ganztagsschulen findet die AfD auch doof, aber die Familie und Frauen am Herd sind toll. Na dann, Willkommen in der Vergangenheit.

Wehrpflicht und Dienstpflicht für Frauen

Deshalb tritt die AFD dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 28 Jahren wieder einen Grundwehrdienst einzuführen. Die Dauer des Wehrdienstes richtet sich nach dem, was für die Sicherheit notwendig ist. Sie muss eine gründliche, kriegs- und einsatzorientierte Ausbildung ermöglichen. Kriegsdienstverweigerer leisten Wehrersatzdienst. Die Allgemeine Wehrpflicht für Männer wird um eine allgemeine Dienstpflicht gleicher Dauer für Frauen ergänzt, wofür eine Grundgesetzänderung erforderlich ist. Frauen sollen die Möglichkeit haben, freiwillig in den Streitkräften zu dienen.

Zu einer anständigen völkischen Ideologie gehört natürlich auch das Kriegspielen. Also: Wehrpflicht wieder einführen – und eine Dienstpflicht für Frauen gleich dazu. Sollen die dann an den Kasernen-Herd? Oder düfen die auch ballern?

Leitkultur religiöser Überlieferung

Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur, die sich im Wesentlichen aus drei Quellen speist: erstens der religiösen Überlieferung des Christentums, zweitens der wissenschaftlich-humanistischen Tradition, deren antike Wurzeln in Renaissance und Aufklärung erneuert wurden, und drittens dem römischen Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt. Gemeinsam liegen diese Traditionen nicht nur unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zugrunde, sondern prägen auch den alltäglichen Umgang der Menschen miteinander, das Verhältnis der Geschlechter und das Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern. Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen

Die Leitkultur, da wird es verschwurbelt. Aber was bedeutet das denn nun? Nun, vor allem ein Schritt zurück in alte Zeiten. Die „religiöse Überlieferung des Christentums“ bedeutet: wir glauben wortwörtlich das, was in der Bibel steht. Angefangen bei Adam und Eva. Evolution? Gibt es nicht, die Welt wurde in 7 Tagen von Gott erschaffen. Immerhin wollen sie die Aufklärung nicht völlig leugnen, aber das Verhältnis von Mann und Frau ist natürlich klar: der Mann bestimmt, die Frau hat zu machen was er will. Tolle Sache. Und das Verhalten der Eltern gegenüber den Kindern? Naja, wenns sein muss dann eben Prügelstrafe, oder wie?

Lehrer sollen „geeignete Maßnahmen“ erhalten – den Rohrstock?

Leistungsbereitschaft und Disziplin sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensvermittlung. Die Erziehung der Schüler dazu ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Das entsprechende Verhalten der Schüler kann nur durchgesetzt werden, wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird. Schulverweigerung, Null-Bock-Mentalität, Disziplinlosigkeit, Mobbing und Gewalt in der Schule sind nicht zu tolerieren und unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten angemessen zu ahnden. 

Lehrer brauchen endlich wieder geeignete Maßnahmen, in den 50ern hatten wir da doch was passendes: den Rohrstock und andere Maßnahmen der „körperlichen Züchtigung“.

Die Zeit des Nationalsozialismus endlich vergessen

Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.

Jeder anständige möchtegern-Nazi möchte natürlich nicht an die Nazi-Zeit, Judenverfolgung und Holocaust erinnert werden. 

Es gibt noch viele weitere Stellen dieser Art im Parteiprogramm der AfD. Mir reicht es jetzt aber erst mal, genug gegruselt. Wer Protestwählen will, aber sich nun nicht mehr mit der AfD anfreunden kann: Lese Politiker unwählbar, Du willst den Systemparteien eins auswischen? Eine Anleitung.

Quelle für alle Zitate: 2016_02_23-grundsatzprogrammentwurf.pdf; Hervorhebungen von mir

Update 13.3.: Ein paar Tippfehler entfernt (aber bestimmt nicht alle).