Gericht: Nennung eines Ex-Bundestagskandidaten der AfD ist rechtmäßig

Der Ex-AfD-Politiker, der mich zur Löschung seiner Kandidatenseite zur Bundestagswahl 2013 bei WEN WÄHLEN? bringen wollte, hat vor Gericht eine Niederlage erlitten: das Amtsgericht Hamburg hat seinen Antrag auf Einstweilige Verfügung abgelehnt. Das Gericht hat damit auf einen ausführlichen Antrag meines Anwalts Michael H. Heng von letzter Woche reagiert, uns in allen Punkten Recht gegeben, die morgige Verhandlung abgesagt und alle Kosten dem Ex-AfDler auferlegt. Obwohl das Gericht den Lösch-Antrag schon wegen mangelnder Dringlichkeit abgelehnt hat, hat es auch ausführlich inhaltlich Stellung genommen (siehe den kompletten Beschluss als PDF).

Im Eilverfahren der einstweiligen Verfügung sah das Gericht nicht die nötige Dringlichkeit an: der Antragsteller hat mit drei Monaten zu lange gewartet, bis er den Antrag gestellt hat. Da frage ich mich schon, wieso er als Anwalt solche Grundlagen – die selbst ich kenne – nicht beachtet. Sind alle „Unternehmensjuristen“ so schlecht? Oder war es nur ein kostengünstiger Versuchsballon? Nun, er könnte nun auf jeden Fall in das länger laufende Hauptsacheverfahren gehen, aber auch hier macht das Gericht klar, dass es inhaltlich keinen Grund sieht, eine Löschung zu verlangen.

»[…] Unstreitig war der Antragsteller im Jahr 2013 Mitglied der AfD und ist über die Landesliste des Landesverbandes Hessen für die Bundestagswahl 2013 angetreten.

Sollte damit die Verbreitung einer wahren Tatsachenbehauptung anzunehmen sein, wäre deren Untersagung in der Regel nur dann auszusprechen, wenn die Aussage die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre betrifft und sich nicht durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt […] oder wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht […]. Keine dieser Voraussetzungen dürfte erfüllt sein.

Dass die Mitgliedschaft des Antragstellers in der AfD der Privat- und nicht der Sozialsphäre zuzuordnen wäre, erscheint fraglich. […] Indem der Antragsteller sich für die Wahl zum Bundestag auf die Landesliste des Landesverbandes Hessen der AfD wählen ließ, dürfte er allerdings in diesem Sinne selbst dann in die Öffentlichkeit getreten sein, wenn er letztlich nur einen hinteren Listenplatz errungen haben möge. Denn es dürfte davon auszugehen sein, dass mit der Stellung als Bundestagskandidat regelmäßig eine erhöhte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit einhergeht, die sich über politische Zusammenhänge im Zusammenhang mit der Bundestagswahl informiert.

Sollte die Parteimitgliedschaft des Antragstellers damit der Sozialsphäre zuzuordnen sein, dürften die Äußerungen darüber nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind […]. Dies ist allerdings bereits nach dem Vortrag des Antragstellers nicht ersichtlich. Die Pauschale Behauptung, die angegriffene Veröffentlichung sei geeignet, das berufliche Fortkommen zu beeinträchtigen, dürfte nicht das oben dargestellte erforderliche Maß für die Annahme schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht erreichen. Gegen das Bestehen einer Prangerwirkung dürfte zuletzt sprechen, dass der Antragsgegner nach dessen Vortrag dem Antragsteller außergerichtlich angeboten hatte, auf der Webseite eine Verlinkung aufzunehmen, über die der Antragsteller die Gründe seines Parteiaustritts darlegen könne.«

(eventuelle Tippfehler sind von mir)

Übrigens: Der Richter scheint – was ja lange Jahre eher selten war – auch über technische Kenntnisse zu verfügen. So steht im Beschluss: »Die vom Antragsteller angegriffene URL enthält die Bestandteile „btw13/kandidaten“, was auf eine Unterseite zur Bundestagswahl 2013 hindeutet, in deren Rahmen die damaligen Kandidaten genannt werden.« Heutzutage würde man ja eher annehmen, dass niemand mehr weiß was eine URL ist, wenn schon die Browser die verstecken.

Recht auf Vergessenwerden?

Der Europäische Gerichtshof hat mit dem unsäglichen Recht auf Vergessenwerden noch eine weitere Möglichkeit geschaffen, die Verbreitung von rechtmäßigen (!) Informationen zu unterdrücken. Der Richter führt in meinem Verfahren hier aus, dass diese Frage aber in einem eigenständigen Verfahren zu entscheiden sei. Allerdings bin ich auch da der Ansicht, dass ein solcher Anspruch nicht besteht, da die Voraussetzungen des EuGH nicht erfüllt sind. Bisher habe ich auch keine Nachricht von Google erhalten, dass ein Suchergebnis bei WEN WÄHLEN? nicht mehr gefunden wird.

Und wie geht es nun weiter? Nun, der Antragsteller kann ein ganz normales Hauptsacheverfahren eröffnen, und das dann durch die Instanzen tragen. Das Gericht hat aber ja nun deutlich gemacht, dass seine Erfolgsaussichten da sehr gering sind. Ich gehe daher davon aus, dass sich die Sache hiermit erledigt hat. 

Links:

Mein Dank gilt Michael H. Heng von der Kanzkei PJM – Palaschinski, Jacobi, Möbius + Partner in Hamburg für die kurzfristige übernahme des Mandats.