Im Bundestag findet heute ab 13:30 eine öffentliche Anhörung zum Thema Netzneutralität statt, die wohl auch auf der Webseite des Bundestages im Live-Stream zu sehen sein wird. Die geladenen Sachverständigen haben im Vorfeld Stellungnahmen abgegeben, aus denen ich schon mal die spannendsten Punkte zusammenfasse.
Im Wesentlichen gibt es zwei Lager: Die Befürworter einer strikten Netzneutralität und die Befürworter eines offenen Marktes, in dem die Telekommunikationsanbieter selbst bestimmen können, ob sie einzelne Inhaltsanbieter oder Dienste bevorzugen wollen. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass sich insbesondere die Inhaltsanbieter für ein neutrales Netz und gegen Bevorzugung aussprechen.
Zu den Stellungnahmen im Einzelnen:
Christoph Fiedler, Verband Deutscher Zeitungsverleger
Sehr treffend und gut lesbar finde ich die Stellungnahme von Dr. Christoph Fiedler vom Verband Deutscher Zeitungsverleger. Der Verband ist wegen seines Einsatzes für das Leistungsschutzrecht in der Netz-Szene in Verruf geraten, hat er doch da für starke Partikularinteressen auf Kosten der Allgemeinheit gekämpft. Bei der Netzneutralität sieht es anders aus: die Zeitungsverlage sitzen im gleichen Boot wie wir alle und wünschen sich ein neutrales Netz, dass keine Inhaltsanbieter durch Deals mit den Providern bevorzugt. In seiner Stellungnahme stellt Fiedler schon zu Beginn zwei ganz wichtige Punkte klar:
Die Inhalteanbieter bezahlen also für den Datentransport. Und je mehr Daten sie einspeisen desto teurer wird die Internet-Konnektivität. Wer täglich hunderttausend Artikel und einige tausend VIdeos einspeist, zahlt sehr viel mehr al eine kleine Fachpublikation, die pro Tag nur wenige hundert Nutzer bedient.
Aber im Rahmen der eingekauften Konnektivität gibt es keine Diskriminierung. Kommt es irgendwo zum Stau, sind alle gleich betroffen. Es gibt keine Unterscheidung nach Quelle, Medientyp, Adressat oder inhaltlicher Ausrichtung. […] Es gibt auf dieser Ebene weder Vor- noch Nachteile im publizistischen Wettbewerb für kleine oder große Verlagshäuser.
Das gilt natürlich nicht nur für Verlage sondern für jeden, der im Internet irgendetwas publiziert.
Fiedler stellt weiterhin die unterschiedlichen Modelle grob dar und kritisiert, dass die Netzbetreiber die Unabhängigkeit der Nutzung ihrer Netzes durchbrechen wollen.
Für die Diskriminierung ist es unerheblich, ob mit der Einrichtung der Überholspur eine Verlangsamung oder gar Blockade der Best-Effort-Spur verbunden ist. Entscheidend ist allein, ob die bevorzugten Inhalte die Nutzer in spürbar und damit wettbewerbsrelevant verbesserter Qualität erreichen. Dieser Unterschied kann darin bestehen, dass nur die Fast-Lane Ruckelfreiheit verschafft. Er kann aber auch darin liegen, dass nur die Videos auf der Fast-Lane einen nutzerrelevanten Qualitätsvorsprung erreichen.
Eine Bevorzugung bestimmter Daten ohne relative Benachteiligung anderer Daten ist nicht möglich. Jedenfalls bezahlt kein Inhalteanbieter für eine Bevorzugung, die keinen relativen Vorteil für seine Daten gegenüber konkurrieenden Daten anderer Anbieter mit sich bringt.
Insgesamt: sehr lesenswerte Stellungnahme.
Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Universität Rostock
Hubertus Gersdorf war schon in der Internet-Enquete als Sachverständiger dabei. Auch wenn ich nicht immer seiner Meinung war, hielt ich ihn für eine Bereicheung: Diskussionen sind erst dann interessant, wenn auch mal jemand eine andere Meinung hat. In seiner Stellungnahme weist er darauf hin, dass eine EU-Verordnung direkt in jedem Mitgliedsstaat gilt und Vorrang vor nationalem Recht hat:
Eine Verordnung der Europäischen Union hat allgemeine Bedeutung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Eine Verordnung beansprucht Vorrang vor (kollidierendem) nationalem (Verfassungs-)Recht. Sie ist insbesondere nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu messen; Prüfungsmaßstab ist allein das Primärecht der Union, insbesondere die Grundrechtecharta.
Gersdorf schreibt weiter, dass Video-on-Demand-Dienste Quality-of-Service (also: eine Bevorzugung) benötigen würden, um mit dem herkömmlichen Rundfunk mithalten zu können, und leitet daraus eine verfassungsrechtliche Pflicht für die Einführung von Transportklassen (und damit die Abschaffung oder zumindest Aufweichung der Netzneutralität) ab:
Nichtlineare (VOD-)Dienste bedürfen eines QoS, weil sie sonst im publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb mit dem Rundfunk, dessen störungsfreier Empfang seit jeher sichergestellt ist, nicht bestehen können. […] Der Rundfunk ist seit jeher der Privilegierte in einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“; er fährt auf der „Überholspur“, während die anderen Dienste den Best-Effort des Internets nutzen (müssen), der keinen (vergleichbaren) Qualitätsstandard garantiert.
[…] Im netzübergreifenden Internetverkehr ist die Bildung entsprechender Transportgruppen durch die ISP die sachlogische Voraussetzung dafür, dass dem Endnutzer ein solcher QoS angeboten werden kann. […] Eine Vermarktung von QoS gegenüber dem Endnutzer macht es erforderlich, dass der lokale Endnutzer-ISP mit den in der Transportkette vorgelagerten ISP entsprechende QoS-Vereinbarungen trifft. Die schlichte Übernahme des Transitverkehrs (aus Drittnetzen) ermöglicht einen solchen QoS nicht. Eine Vermarktung von QoS gegenüber dem Endnutzer macht es erforderlich, dass der lokale Endnutzer-ISP mit den in der Transportkette vor- gelagerten ISP entsprechende QoS-Vereinbarungen trifft. Die schlichte Übernahme des Transitverkehrs (aus Drittnetzen) ermöglicht einen solchen QoS nicht.
Eine Regelung, die nichtlinearen Anbietern die Möglichkeit eines QoS vorenthält, der dem Rundfunk durch den Transport in Rundfunkübertragungsnetzen (DVB-S und DVB-C) und im Rahmen von IPTV im Netz der DT AG garantiert ist, verstieße gegen die grundrechtlich geschuldete regulatorische Gleichbehandlung von nichtlinearen und linearen Anbietern (Art. 11 in Verbindung mit Art. 20 GrCh). An dem – in der Praxis wichtigsten – Beispiel des nichtlinearen audiovisuellen Mediendienstes (auf Abruf) zeigt sich, dass die Ermöglichung von „Spezialdienstent“ oftmals unerlässliche Voraussetzung für die Verwirklichung grundrechtlicher Direktiven ist.
Wie in der Internet-Enquete setzt sich Gersdorf also für „Transportklassen“ ein und argumentiert nun, dass dies sich aus der europäischen Grundrechtecharta aus Artikel 11 (Meinungsfreiheit) und Artikel 20 (Gleichbehandlung aller Menschen) sowie aus dem Grundgesetz zwangsläufig ergebe. Ui, das ist harter Stoff!
Gersdorf macht dabei einen wichtigen Fehler: für die Verbreitung bzw. den Abruf von Videos über das Internet ist es eben gerade nicht relevant, dass eine bestimmte Leitungsqualität mit garantiert kurzen Laufzeiten der Datenpakete vorliegt. Jeder Nutzer von Youtube, Amazon Prime Video, Netflix und anderen Diensten kennt das: die Videos werden kurz vorgeladen und während man den Film anschaut wird der Rest geladen. Je nach Größe des Puffers beim Vorladen muss man zwischen ein paar Millisekunden bis Sekunden warten. Ein Quality-of-Service im Sinne von Priorisierung einzelner Dienste ist gar nicht nötig. Youtube-Filme starten selbst bei FullHD oftmals schneller, als das Umschalten des Fernsehprogramms bei manch herkömmlichem Fernseher geht. Aber selbst Live-TV funktioniert meist anständig, wie man beispielsweise im Live-Stream des ersten ARD-Programms feststellen kann. Eine einseitige Sender-zu-Empfänger-Kommunikation braucht eben gerade keine besonders kurzen Laufzeiten sondern – wenn der Empfänger nicht längere Zeit vorladen will – eine bestimmte Übertragungskapazität. Diese steht dem Nutzer aber entweder zur Verfügung (wenn seine Leitung schnell genug ist) oder eben nicht. Für ausreichende Kapazität haben die Provider zu sorgen: sowohl der Provider des Nutzers als auch der Provider des Anbieters des jeweiligen Dienstes.
Alleine dadurch bricht die Argumentationskette von Hubertus Gersdorf für die Einführung von Diensteklassen oder Transportklassen schon zusammen.
Thomas Lohninger - Digitale Gesellschaft e.V.
Thomas Lohninger beschreibt die Motivation der großen Provider für die Einschränkung der Netzneutralität:
Provider diesseits und jenseits des Atlantik möchten die Netzneutralität möglichst abschaffen und kostenpflichtige Überholspuren im Netz einführen. Nach ihren Wünschen soll es neben dem offenen Internet auch Spezialdienste geben, deren Daten stets bevorzugt mit einer garantierten Geschwindigkeit transportiert werden. Dabei besteht zunächst die Gefahr, dass Provider Zugänge zum offenen Internet zugunsten von Spezialdiensten drosseln oder einzelne Anwendungen blockieren könnten. Sobald die im offenen Internet zur Verfügung stehenden Bandbreiten knapp werden, könnten zahlungskräftige Anbieter außerdem ihre Internetdienste aus dem offenen Internet auslagern und nur noch über einen schnellen Spezialdienst zugänglich machen, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen.
… und gibt gleich noch Regulierungsziele vor:
Der Erfolg jeder Regulierung zur Netzneutralität lässt sich daran messen, ob es für einen Internetprovider möglich ist einen Markt für den priviligierten Zugang zu seinen Kunden zu etablieren. Ist ein solcher Markt für den Internetprovider möglich, hat der Regelegungsvorschlag sein Ziel verfehlt. Dieser Markt funktioniert entweder über die priorisierte Durchleitung im Netz des Providers oder die Möglichkeit Daten vom monatlichen Volumen der Kunden auszunehmen. Existiert ein solcher doppelter Markt für Internetprovider, gibt es eine Tendenz zur Monopolisierung auf Seite der Dienste- und Zugangsanbeiter durch die Vorteile für Internetprovider mit vielen Kunden und die gesteigerten Markteintrittsbarrieren für Diensteanbieter. Die Innovationsfähigkeit des Internets wird durch dieses Geschäftsmodell auf Seite der Internetprovider dauerhaft zerstört.
Insbesondere die Tendenz zur Monopolisierung ist ein wichtiger Aspekt, der in der bisherigen Diskussion m.E. zu kurz gekommen ist. Thomas Lohninger betont noch einen weiteren wichtigen Punkt aus Bürgerrechtlicher Sicht:
Die Erfolgsgeschichte des Internets als Wirtschafts-, sowie als gesellschaftlicher und demokratiepolitischer Raum begründet sich auf seiner Offenheit, den niedrigen Markteintrittshürden und dem globalen, uneingeschränkten Wettbewerb zwischen allen Anbietern. Wir wissen aus den vergangenen Jahrzehnten, dass dieses Modell für alle der vielfältigen Internetdienste funktioniert hat.
In einem Punkt geht aber auch Lohninger von falschen Annahmen aus: Für Spezialdienste sei Deep-Packet-Inspection nötig und dies würde „aufgrund der so gewonnenen Metadaten ein sehr genaues Bild der Kommunikations- und Surfgewohnheiten der jeweiligen Person zeichnen“. Beides ist falsch: Zum einen ist gerade bei Spezialdiensten, die über eigene Anbindungen laufen, kein Deep-Packet-Inspection nötig. Und es sind in IPv6 schon 8 Bit für die Angabe einer „Traffic Class“ vorgesehen, die man dafür nutzen könnte. Zum anderen bedeutet auch echtes Deep-Packet-Inspection nicht, dass dadurch die „Kommunikations- und Surfgewohnheiten der jeweiligen Person“ aufgezeichnet werden. Man könnte diese Aufzeichnung zwar zusätzlich implementieren, das eine hat mit dem anderen aber nicht wirklich viel zu tun. Denn nur die entsprechenden Router schauen in die Pakete rein und behandeln sie prioritär oder eben nicht. Aber da dies in der Praxis sowieso nicht über diesen Weg geregelt wird, greift das Argument hier sowieso nicht.
Dr. Bernhard Rohleder, BITKOM e.V.
Auch Bernhard Rohleder war als Sachverstäbdiger Mitglied der Internet-Enquete und hat dort als Bitkom-Vertreter insbesondere die Interessen des Bitkom-Mitglieds Telekom vertreten. Daher ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass er sich in seiner Stellungnahme für „Qualitätsdifferenzierung“ einsetzt:
Zustimmung verdient daher ein Verständnis von Netzneutralität, wonach Qualitätsdifferenzierungen - bei diskriminierungsfreiem und transparenten Bedingungen – auch zu differenzierten Entgelten möglich bleiben. Es scheint verfehlt, wenn die Politik der wissenschaftlichen Diskussion vorgreift und ein einsetiges Verständnis von Netzneutralität festschreiben möchte.
Sprich: er ist auch für Netzneutralität, versteht darunter aber etwas anderes. Außerdem spricht er sich gegen Regulierung aus:
Die Erfolgsgeschichte des Internet ist im Wesentlichen darauf begründet, dass es bis zum jetzigen Zeitpunkt weitgehend frei von Regulierung war und ist.
Ich bin der Ansicht, dass Regulierung da nötig ist, wo es der Sicherung von Freiheit und Offenheit dient – und da nicht oder nur behutsam reguliert werden sollte, wo die Freiheit und Offenheit dadurch eingeschränkt wird. Da die großen Telekommunikationsunternehmen Einschränkungen planen, sehe ich eine Regulierung der Netzneutrlität als wichtig an.
Rohleder schreibt, die Einführung von Qualitätsklassen würde den Transport von Inhalten im Internet vervielfältigen. Nun, warum der Versuch den Providern Mehreinnahmen für die Bevorzugung bestimmter Inhalteanbieter aber dem allgemeinwohl dienen soll, wird daraus nicht klar. Denn: Wer den Einen bevorzugt, der diskriminiert alle anderen. Wer vom Einen Geld einnehmen möchte, wird das nur erreichen, wenn er ihm einen Mehrwert bietet – der alle anderen wiederum benachteiligt. Ohne dass die Telekom und andere Provider endlich ihre geplanten Modelle offen legen, lässt sich kaum sagen, wie schädlich diese sind – da sie das aber nicht tun, muss man schlimmstes befürchten, die geplanten Volumen-Drosseln mit Freikaufmöglichkeit für zahlungskräftige Inhaltsanbieter zeigen ja die Richtung auf. Wenn entsprechende Modelle aber erst einmal etabliert sind, kriegen wir sie nicht mehr weg. Daher halte ich eine vorausschauende Regulierung hier für freiheitsfördernd.
Klaus Landefeld - eco e.V.
Klaus Landefeld dürfte der einzige in der Runde sein, der die technischen Fragen in dem Bereich Netzneutralität durchschaut. Auch er weist in seiner Stellungnahme auf die Probleme für kleinere Anbieter hin:
Im Hinblick auf Anwendungen und Diensten mit hohen Datenraten (insbesondere IPTV und Streaming) könnte dies dazu führen, dass es zu Benachteiligungen für kleine und wenig zahlungsfähige Dienste. und Anwendungsanbieter kommt. Beispielsweise könnte, wenn etwa Netflix eine Vereinbarung mit einem Internet Service Provider hat und Watchever nicht, die Performance von Netflix beim Endnutzer dieses Internet Service Provider besser sein. Dies wäre für Netflix natürlich ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Weiterhin geht er noch auf die technischen Möglichkeiten für Spezialdienste ein und spricht sich dafür aus, keine zu starken regulatorischen Vorgaben zu machen.
Als Verbandsvetreter muss er auch auch ein Spagatƒ zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitglieder des eco durchzuführen: einige sind für eine strikte Netzneutralität, andere eher nicht. Insgesamt hat er aber auch eine lesenswerte Stellungnahme verfasst.
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