Seit ein paar Tagen machen die großen Personaldienstleister, die vor allem (IT-) Experten an die Unternehmen vermitteln, einen großen Wirbel: Man solle die „Expertenarbeit retten“, da die böse Arbeitsministerin den gutverdienenden Selbständigen an den Kragen wolle. Die Kampagne hat bei einigen gewirkt, ein paar Dutzend haben auch bei Twitter mitgemacht und vorgefertigte Zettelchen gepostet.
Da ich selbst als IT-Freiberufler häufig von den Personaldienstleistern vermittelt werde, wurde ich auch von einigen von ihnen angeschrieben, damit ich mich am Protest beteiligen solle. Allerdings waren sowohl die Mails als auch die Kampagnenseite weitgehend nichtssagend: es liegt schon seit November ein konkreter Gesetzesentwurf vor, aber der wird nicht im Detail kritisiert; die Personalvermittler sagen nicht, was sie konkret stört, wo konkret die Gefahr liege. Die aktuelle Version des Gesetzesentwurfs ist nun entschärft, aber immer noch: keine konkrete Aussage der Kritiker. Also habe ich auf die Mails geantwortet – mit der Nachfrage, wo genau im Gesetzesentwurf nun das Problem liege. Und natürlich habe ich auch darauf hingewiesen, dass ich nebenberuflich in einem Bundestags-Abgeordnetenbüro arbeite und die Hinweise gerne in die politische Diskussion hineintragen kann.
Zwar habe ich mehrere Antworten erhalten. Aber: Wieder alles nichtssagend. In einer hieß es: Es könnte unter Umständen vielleicht sein, dass ein Unternehmen mich anstellen müsse. Aha. Ein anderer Vermittler schrieb: in „Einzelfällen“ könnte sich die Frage stellen, ob ein Projekteinsatz noch als freiberuflich gelten könne. Aha. In Einzelfällen!
Und dafür machen die so großen Wind?
Es war auch bisher so, dass sich in Einzelfällen ein Freiberufler bei einer Firma einklagen konnte. Zum Beispiel wenn er jahrelang in Vollzeit bei einem Unternehmen tätig war und den Weisungen der dortigen Chefs unterlag. Nach Lektüre des neuen § 611a BGB in der ursprünglich wie in der neu geplanten Form behaupte ich: das was nun im Gesetzesentwurf steht, galt für die meisten (IT-) Freiberufler auch bisher schon. Und: ich finde es gut und richtig, dass gegen Scheinselbständigkeit vorgegangen wird. Denn die schadet vor allem den Beschäftigten – insbesondere im Niedriglohnsektor –, während die Unternehmen Geld sparen.
Übrigens: in vielen Bereichen ist die Kunst der Personaldienstleister nicht, gutes Personal zu finden. Sondern deren Kunst ist den Markt abzugrasen, so dass Freiberufler kaum noch Stellen finden, die nicht über einen Vermittler gehen. Bei großen Unternehmen und im öffentlichen Dienst sind freiberufliche Projekte nahezu nur über einen Vermittler erreichbar.
PS: Ich bin gerne Freiberufler, auch weil es mir mehr Freiheiten bietet als eine Festanstellung. Und ich sehe meine Tätigkeit nicht durch das Gesetz beeinträchtigt – aber vielleicht übersehe ich ja etwas. Nicht, dass ich etwas gegen eine Festanstellung hätte – aber da müsste schon ein ganz besonders interessanter Job kommen …
Ein Experte
Das Gejammer der Projektvermittler ist auch deswegen bezeichnend, weil unter denen sehr viele Nieten sind. Sind angebliche Spezialisten für die Gewinnung von IT-Experten, haben aber selbst keine Ahnung.
Ich bin letztens in ein Projekt gekommen, bei dem drei Spezialisten für ein weit verbreitetes OpenSource-Projekt gesucht wurden. Ich war schon im Einsatz und Projektvermittler sollte noch zwei weitere Kollegen besorgen. Wochenlang hat er nichts auf die Reihe gekriegt und dann ein paar Nieten zu den Vorstellungsgesprächen geschleift, die noch nicht mal die Linux/Unix-Grundlagen beherrschten. Also habe ich angeboten mich umzuschauen: zwei Mails auf einschlägigen Mailinglisten und schon gab es genügend Kandidaten.
Noch ein Experte
Dass vor allem die "Personaldienstleister" (welch Euphemismus!) hier die treibende Kraft sind, ist ein bisschen ärgerlich, aber der Zweck soll die Mittel manchmal heiligen.
Konkretes Beispiel:
Ich bin als quasi freier Entwickler (mit meiner GmbH) vor geraumer Zeit in ein Projekt bei einem Kunden gegangen, wie üblich ohne zu wissen, wohin sich das entwickelt. Tatsächlich war der Bedarf schnell so groß, dass ich noch Leute aus meinem Netzwerk mit dazu holen konnte, deren Abrechnung seitdem auch über mich läuft.
Ich zahle gute Stundensätze, jeder von uns kann Umfang, Zeit und Ort der Arbeit selbst bestimmen, wir arbeiten sogar alle komplett remote, niemand ist beim Kunden regelmäßig vor Ort.
Inzwischen läuft das aber schon länger als ein Jahr, alle inkl. des Kunden sind happy und wenn nichts unvorhergesehenes passiert, sollte das Setup so auch noch ein weiteres Jahr oder sogar länger funktionieren.
Nun bin ich aber nicht nur Auftragnehmer, sondern für die anderen auch Auftraggeber. Von diversen Schreckensmeldungen online aufgeschreckt habe ich das Szenario nun auch vom Anwalt prüfen lassen und selbst das Internet zum Thema leer gelesen. Fazit: Das ist eine 50/50-Nummer. Obwohl sich alle "frei" fühlen, kann man es auch so auslegen, dass sie wie Angestellte zu behandeln sind. Mit der Folge, dass ich vom Auftraggeber zum Arbeitgeber werde, und meine Auftragnehmer zu Angestellten. Per Fingerschnipp von jemandem bei der Rentenversicherung.
Die Folgen wären weitreichend: Mein Unternehmen wäre auf der Stelle pleite, bei dann Nachzahlungsforderungen im sechsstelligen Bereich (wir reden hier ja nicht vom Mindestlohn). Auch für die Teammitglieder könnte das böse enden, da bspw. auf Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer von ihnen zurückgefordert werden könnte. Etc. pp.
Was mir jetzt bleibt sind im Grunde nur zwei Optionen: Entweder ich zocke, oder ich versuche die Jungs und Mädels zu Festanstellungen zu überreden bzw. sie durch Festangestellte zu ersetzen. Was niemandem gefallen wird, nicht mir, der gerne mit allen arbeitet, nicht ihnen, und vor allem nicht dem Kunden.
Anonym hat auf den Kommentar von Noch ein Experte geantwortet
Genau da liegt das Problem - an der 50/50 Nummer. Natürlich - die Dienstleister versuchen ihre Existenzgrundlage damit zu schützen. Aber ganz ehrlich - wen es uns als Experten nützt sehe ich das eher positiv. Was die Nieten unter den Dienstleistern angeht - es sollte einem klar sein dass ein Vermittler selbst nicht zwingend mal weiß was tcpdump ist, oder warum ein VLAN getaggtes Paket unter Umständen nicht durch einen Tunnel passt (Stichwort MTU). Aber ehrlich - ich hab selbst bereits erlebt das es häufig auch daran liegt, dass sich unsere vermeintlichen Kollegen in grenzenloser Selbstdarstellung nur so überbieten und oftmals mit Fähigkeiten in Ausprägungen welche so gar nicht vorhanden sind vorstellen, so dass es zwangsläufig - und dass wissen wir alle - zu Fehlbesetzungen kommen muss. Daher kann ich mich dem Artikel an sich und dem ersten Kommentar nicht wirklich anschließen. Der Blogeintrag selbst zeugt für mich eher von Trittbrettfahrerei und der erste Kommentar hat einen Hauch von Überheblichkeit. Den Kommentar des 50/50 Kollegen kann ich aber so vollends unterschreiben - es ist mit dem bestehenden Entwurf schnell passiert das man entweder selbst zum AG wird oder der Kunde potentiell in die Gefahr kommt einen anstellen zu müssen. Und sind wir doch mal ehrlich - glaubt ihr wirklich jeder Kunde sagt da mal so locker - ich hab hier ein sehr spezielles Projekt - dauert erst mal 6 Monate - ich stell mir jetzt mal fix jemanden ein den ich dann eventuell nach Projektende nicht mehr brauchen kann aber vielleicht auch nicht mehr los werde? Also doch als Freelancer mit Risiko? Ich für meinen Teil denke da eher dass viele Projekte dann einfach sterben und eine Vielzahl von uns mit wesentlich weniger Aufträgen dastehen würden. Ich kann mich auch täuschen und die Auswirkungen wären nicht so drastisch wie sie meiner Meinung nach sind, aber ich bin da lieber auf der sicheren Seite, zumal es auch möglich wäre mit ein paar Anpassung zum einen die wirklich zu schützen die vor Ausbeutung geschützt werden müssen, zum anderen uns die dann doch mehr als 10 Euro die Stunde verdienenden nicht im eine solch unsichere Lage zu bringen.
Und jetzt hab ich mich glaub ich auch genug aufgeregt - mein Puls senkt sich langsam wieder.
Letztens Endes muss jeder selber wissen was er unterstützt - ich finde die Aktion jedenfalls eher für als gegen uns.
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Noch ein Experte geantwortet
Die „Personaldienstleister“ sind vermutlich treibende Kraft weil sie befürchten, dass einige Unternehmen dann doch stärker zu Festanstellungen tendieren könnten.
Aber zu Deinem Beispiel: der Beschreibung nach zu Urteilen würde ich davon ausgehen, dass durchaus bzgl. Deiner Mitarbeiter die Frage besteht, ob sie als Angestellte zu betrachten sind oder nicht. Da gibt es ja auch bisher Kriterien, wie: bist Du alleiniger Auftraggeber, wie frei sind die einzelnen Auftragnehmer, wie lange geht das Projekt, wie groß ist das unternehmerische Risiko und so weiter. Aus Deiner Beschreibung bin ich mir nicht sicher, ob ich sie als Angestellte oder eigenständige Unternehmer betrachten würde. Letztendlich ist das ja auch eine Frage der (solidarischen) Sozialversicherungen und ob die Gesellschaft dulden kann, dass sich einige mit entsprechenden Tricks rausmogeln. Würde es eine Renten- und Arbeitslosenversicherungspflicht für alle geben, so wie ja auch schon bei der Krankenversichrung, wäre zumindest dieser Teil weniger problematisch.
Ich kenne Fälle, wo Leute jahrelang (und da eher 5 oder 10 als 2) als „Freiberufler“ bei einer Firma waren, immer vor Ort, 40-Stunden-Woche, voll in die Firma integriert usw. Kann man da, neutral betrachtet, wirklich davon sprechen, dass so jemand ein „selbständiger Unternehmer“ ist?
Jemand, der nicht angestellt sein will
Ich finde selbst auch, dass man die eh schon etwas schwammige Rechtslage nicht durch ein Gesetz zementieren sollte.
Man kann doch bestimmt eine Möglichkeit finden, die ausgebeuteten Fake-Freelancer zu schützen, ohne als Kollateralschaden alle IT-Berater etc. aus Versehen gleich mit zu Angestellten zu machen.
In meinem Umfeld ist Leuten passiert, dass sie jahrelang prozessieren mussten, damit ihre Freelancerverträge nicht nachträglich zu Angestelltenverträgen umgeschrieben wurden. Und das, obwohl beide Parteien in einem einvernehmlichen Verhältnis zueinander standen. Sowohl für Freelancer als auch deren Kunden ist sowas nervenaufreibend und existenzgefährdend. Um sowas zu vermeiden, muss man sich in seiner Freiheit einschränken: Man muss plötzlich aus Rechtsgründen zweimal darüber nachdenken, wie oft man in welchem Büro sitzt, wessen Equipment man wie benutzen darf etc. — wäre es nicht besser, wenn man als Berater die Freiheit hätte, nicht darüber nachdenken zu müssen? Wem bringt das was, wenn man den Status an irgendwelchen speziellen Arbeitsbedingungen festmacht?
Man könnte doch auch die Bedingungen angleichen: Z.B. Freelancer verpflichten, für ihre Rente vorzusorgen. Das würde das Problem lösen, dass es momentan so viele Freelancer ohne Vorsorge gibt.
Hier gibt's eine Übersicht mit Argumenten gegen die erste Fassung des Gesetzesentwurfs:
http://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/it-selbstaendige/scheinselbstaendigkeit-die-neuen-geplanten-gesetzlichen-kriterien.html