Rechtsanwältin Nina Diercks fordert diskutiert die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung unter den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, macht dabei aber leider die gleichen Fehler, wie sie von vielen Befürwortern in der Politik auch dauernd gemacht werden: sie unterscheidet nicht nach den verschiedenen Datenarten.
Vielen Menschen ist beim Thema Vorratsdatenspeicherung nicht bewusst, welche Daten wirklich gespeichert werden sollen, welche Rückschlüsse diese im Einzelnen zulassen und welche Bedeutung sie im Einzelnen haben. Wird das ganze Leben ausgespäht oder ist alles ganz harmlos? Dies ist in vielen Diskissionen zu beobachten, sowohl mit Befürwortern wie Gegnern. Auch aus diesem Grund habe ich ein technisches Gutachten (bzw. hier gleich das PDF) geschrieben, das diese Themen beleuchtet.
Die verkürzte Antwort auf die Frage, ob nun das ganze Leben ausgespäht wird oder alles harmlos ist: Kommt drauf an, vor allem welche Datenart man betrachtet. Nina Diercks vergisst im Laufe ihres Artikels aber die Unterschiede: Ja, die IP-Adresse ist bei reinen Online-Delikten oftmals der einzige Ansatzpunkt. Und: ja, das Bundesverfassungsgericht hat (aus gutem Grund!) die Hürden für die Abfrage von IP-Adressen sehr niedrig angesetzt. Dennoch sind beispielsweise Mobilfunk-Standortdaten sehr sensible Daten, wie man auch bei der Visualisierung der Vorratsdaten von Malte Spitz eindrucksvoll sehen kann. Daher sollte man sie auch nicht in den gleichen Topf werfen wie die IP-Adressen: man kann eben nicht sagen, dass alle „Vorratsdaten“ harmlos sind.
Und in der gesamten Diskussion wird häufig auch vergessen: Standortdaten werden ebenso wie Telefon- und E-Mail-Verbindungsdaten von den Telekommunikationsanbietern aus diversen anderen (erlaubten) Gründen sowieso ein paar Tage gespeichert. Die Hürden, die das Bundesverfassungsgericht für die Abfrage von per Gesetz zu speichernden Daten vorgesehen hat, gelten dabei kaum. Für die Betroffenen ist es aber egal, warum die Daten gespeichert wurden. Hier ist m.E. der Gesetzgeber gefragt, aber die meisten Gegner der Vorratsdatenspeicherung vergessen dies leider …
Literatur:
- Nina Diercks: Von der Vorratsdatenspeicherung (VDS), Geheimdiensten (NSA & Co) und privaten Datenkraken (Facebook, Google)
- Mein technisches Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung (oder direkt das PDF)
- Visualisierung der Vorratsdaten von Malte Spitz
PS: Eigentlich ganz unabhängig von der Vorratsdatenspeicherung möchte ich noch einen Abschnitt aus dem Artikel von Nina Diercks zitieren, dem ich weitgehend zustimme:
Jeder kann Verfassungsbeschwerde einlegen (grundsätzlich). Das ist toll. Und eine solche wirkt. Der Staat funktioniert. Das ist großartig. Fragt mal einen Syrer, einen Ukrainer oder einen Venezuleaner, wie er oder sie so etwas Funktionierendes finden würde. So. Und jetzt [freuen] sich bitte alle ein bisschen über diesen unseren funktionierenden Rechtsstaat.
Denn auch wenn natürlich das eine oder andere verbesserungswürdig ist: wir haben das Glück, in einem weitgehend gut funktionierenden Staat zu leben.
Nina Diercks
Hallo Alvar,
nur zur Klarstellung:
1. Fordere ich nicht "die" Vorratsdatenspeicherung, sondern nur dazu auf, sich bitte differenziert mit dem Thema auseinander zu setzen.
2. Vermenge ich gerade nicht IP-Adressen und Mobilfunkdaten. Und ich sage nicht, das die Speicherung aller Daten harmlos ist.
Es sei aber ein jeder ganz herzlich eingeladen, meinen zu Artikel zu lesen. Und sich selbst ein Urteil über diesen und das Urteil des BVerfG zu treffen. Letzteres kann man übrigens auch einfach lesen. Ist frei zugänglich.
Last but not least, vielen Dank für die Zitierung. Zumindest soweit sind wir uns ja einig. ;-)
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Nina Diercks geantwortet
Das „fordert“ habe ich mal in ein „diskutiert“ geändert ;-) – auch wenn ich es durchaus als Forderung lese.
Aber die Unterscheidung machst Du aber eben nicht wirklich: zwar zitierst Du, dass das BVerfG bei der Abfrage von IP-Adressen nur geringe Hürden vorsieht. Aber der Gesamttenor des Artikels ist: Vorratsdatenspeicherung ist nicht schlimm, sondern rechtsstaatlich. Und geboten weil …
Nur sieht es bei den Standortdaten eben ganz anders aus. Da muss man unterscheiden, und diese Unterscheidung fehlt mir in dem Text.
Nina Diercks
Die Unterscheidung steht aber im Text! Ich gehe ausdrücklich auf IP-Adressen ein und sage, dass hierbei (!) die Hürden vom BVerfG zu Recht nicht so hoch gesetzt sind. Also besagt das für den Rest (und worüber ich auch schreibe), dass die Hürden da - gemäß Verfassung und BVerfG - sehr hoch zu setzen sind.
Aber hier noch mal zur Klarstellung in drei Sätzen Satz:
Ja, die VDS ist nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen und unserer Verfassung verfassungskonform möglich. Dazu muss sie aber nach den Vorgaben des BVerfG verfassungskonform ausgestaltet werden. Dazu gehört auch eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Datenformen, wie vom BVerfG auch ausführlich ausgearbeitet.
Gut so? ;-)
(Das sag ich und das BVerfG. Dazu kann und darf - laut Verfassung ;-) - aber jeder auch seine eigene, andere Meinung haben. Ich finde die Argumente vom BVerfG bloß extrem gut,)
Alvar Freude hat auf den Kommentar von Nina Diercks geantwortet
Der für mich wichtige Punkt ist, dass die Eingriffsintensität beispielsweise bei Standortdaten so hoch sind, dass man sich fragen muss, ob man das, was das Bundesverfassungsgericht als gerade noch tolerierbar darstellt, wirklich ausnutzen muss.
Und da sage ich: nein. Zumal die Notwendigkeit dafür gar nicht vorhanden ist.
Wir müssen nicht alles machen, was gerade noch mit der Verfassung vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass es so umzusetzen ist – sondern nur, dass nicht über diese Grenzen hinausgegangen werden darf.
Die Argumente des BVerfG sind in der Regel immer gut ;-) – in diesem Fall auch die Beschreibung, welche unschönen Möglichkeiten beispielsweise mit Standortdaten angestellt werden können. Aber genau das vermisse ich in Deinem Text. Du schreibst richtigerweise, dass bei IP-Adressen eine Speicherung nicht nur harmlos ist, sondern auch oft das einzige Instrument. Bei den Standortdaten wird es aber ein bisschen komplizierter, und das habe ich aus dem Text so eben nicht herausgelesen. Zumal noch hinzukommt, dass in der Zwischenzeit bekannt ist, dass die Provider viele Daten sowieso aus anderen Gründen speichern.